Spaniens Fussballer im Hoch«Das gehört eigentlich verboten»
An der WM 2022 verschleppte Spanien sein Spiel ins Unerträgliche, nun ist es beschwingt durch die EM-Vorrunde getanzt. Woher der Stilwandel? Stürmer Ferran Torres erklärt.
Ferran Torres lebt seit einiger Zeit in Frieden mit sich selbst. Man merkt das auch an der Art, wie er über den Teenager spricht, der ihm den Weg in die Startformation der Spanier versperrt. Über Lamine Yamal, der wie er selbst beim FC Barcelona beschäftigt ist. «Das, was dieser ‹chico› mit 16 Jahren hier anstellt, gehört eigentlich verboten …», sagt er im Medienzentrum des spanischen Nationalteams zu dieser Redaktion. «Und jetzt», fügt er an, «soll er uns helfen, die EM zu gewinnen.»
Die Chancen auf den Triumph könnten schlechter sein – gerade auch dank Yamal. Die Spanier beendeten die Gruppenphase mit drei Siegen und ohne Gegentor. Kroatien wurde 3:0 geschlagen, Italien vorgeführt (aber lediglich mit 1:0 besiegt), am Ende stand ein 1:0-Sieg gegen Albanien – mit Siegtreffer von Ferran, wie sein Künstlername lautet. «Unsere Gruppenphase war spektakulär; ich glaube, dass wir bislang die beste Mannschaft waren», sagt Ferran.
Aber die EM, sie beginne erst jetzt. Und wenn Spanien am Sonntag im Achtelfinal auf Georgien trifft, werden in den Augen Ferrans Fragen der Ästhetik und des Stils nicht einmal am Rande interessieren. «Hoffentlich sehen wir uns am 15. Juli wieder, und Gott und die Welt kann sagen: ‹Sie haben gespielt wie Arsch. Aber sie haben gewonnen!›» So sagt das Ferran.
«Hai»: So kam Ferran Torres zu seinem Übernamen
Der 24-Jährige wurde beim FC Valencia gross, schaute zu Welt- und Europameister David Villa auf, versuchte sich bei Manchester City in der Premier League und landete in aufgewühlten Zeiten beim FC Barcelona. Dort begannen sie, ihn «tiburón» zu nennen, zu Deutsch: «Hai». Nach einem Vorbereitungsspiel mit Barça gegen Real Madrid füllte sich das Internet mit «Hai»-Emojis, weil Ferran zweimal getroffen hatte. Die Mitspieler griffen die Netz-Taufe auf, Ferran war es nur recht. Passend ist der Name allemal, denn der Haifisch, der hat Zähne, und so wie Ferran trägt er sie im Gesicht.
Ferran schwimmt oft unter der Oberfläche – auch bei Barcelona ist er oft zweite Wahl. Doch ehe man es sich versieht, füllt sich das Wasser mit dem Blut gegnerischer Mannschaften. Vor allem bei Spielen der spanischen Auswahl. Ferran hat in 44 Länderspielen 20 Tore geschossen. Seit dem Match gegen Albanien liegt er in Spaniens Nationalmannschafts-Ranking gleichauf mit Telmo Zarra, einer Sturm-Legende der 1940er- und 50er-Jahre. Was für ein Adelsschlag das ist: Lediglich ein gewisser Lionel Messi war in Spaniens Liga häufiger Torschützenkönig als Zarra; in einer Spielzeit hatte Zarra eine Quote von 1,42 Treffern pro Partie.
«Ich habe auch im Club meine Tore, die Zahlen liegen ja vor. Aber ja: Irgendetwas in meinem Inneren bewirkt, dass ich Tore schiesse, wenn ich mir das Trikot des Nationalteams überstreife», sagt Ferran. Was er anfügt, klingt, als sei sein Treffer gegen Albanien auch ein Statement in eigener Sache gewesen. Es sei am Ende auch darum gegangen, zu sagen: «Hier bin ich! Ich bin bereit! Und für alle Minuten, die mir der Míster (Nationaltrainer Luis de la Fuente) geben will, mehr als nur vorbereitet.»
Welch ein Kontrast zur WM 2022 in Katar
Ferran widerspricht nicht, wenn er mit der Einschätzung konfrontiert wird, dass viele Aussenstehende bei dieser EM eine zielstrebigere, tiefgehende, kurzum: neue spanische Nationalmannschaft sehen. Vor allem im Vergleich zu dem Team, das bei der WM 2022 in Katar im Achtelfinal nach tausend Pässen an Marokko scheiterte und dem auch Ferran angehörte.
«Mag sein, dass wir jetzt weniger Ballbesitz haben, direkter spielen. Oder dass sich die Halbstürmer mit grösserer Freiheit bewegen, die Aussenstürmer schneller versuchen, den Ball in den Strafraum zu spielen, damit er dort, egal wie, ins Tor getragen wird», diagnostiziert Ferran. Nur: Das stehe hinter einem anderen Faktor zurück. «Mehr als einen bestimmten Stil nehme ich auf dem Rasen viel eher wahr, dass wir Freunde sind und unter uns allen gute Laune und positive Energie herrschen», erklärt Ferran.
Die Harmonie ist Grundlage für eine Solidarität in der Abwehrarbeit, die im Sturm beginnt und von grosser Aggressivität vor allem in der gegnerischen Hälfte geprägt ist. «Wir messen der Rückeroberung des Balls eine grosse Bedeutung bei. Denn viele Gegner schliessen sich hinten ein – und suchen dann unseren Rücken», erklärt Ferran. Was das bedeutet, kann man auch daran ablesen, dass Spanien von seinen 46 Fouls 30 in der gegnerischen Hälfte begangen hat – und nur fünf im hinteren Drittel des Spielfelds.
Auch das sind Zahlen, die erklären, warum sich Spanien zum Favoriten gemausert hat – und den vor Turnierbeginn herrschenden Unglauben der spanischen Medien in Siegesgewissheit verwandelt hat. Man halte sich vom externen Lärm fern, sagt Ferran. «Niemand glaubt mehr an uns als wir selbst.»
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