Analyse zum Twitter-AufruhrDeutliches Resultat bei Musks Pseudo-Abstimmung
Der Twitter-Chef lässt die Nutzer abstimmen, ob er abtreten soll: Das wirkt souverän, ist aber nichts weiter als ein scheindemokratisches Besänftigungsmanöver.
«Soll ich als Chef von Twitter zurücktreten? Ich werde mich an die Ergebnisse dieser Umfrage halten.» Elon Musk überliess den Nutzerinnen und Nutzern seines sozialen Netzwerks die Entscheidung, ob er bleiben oder den Platz räumen soll. Die Umfrage lief bis Montagmittag 12.20 Uhr. Bei über 17 Millionen Stimmen wurde mit 57,5 Prozent der Rücktritt gefordert.
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Was auf den ersten Blick nach einer soliden, basisdemokratischen Entscheidung ausschaut, ist nichts weiter als eine neue, publikumswirksame Finte, von denen es im Lauf von Musks Twitter-Regentschaft schon diverse gab. Denn der Ausgang der Umfrage ist nicht von grosser Bedeutung: Im November hat Musk angekündigt, er wolle mittelfristig einen Geschäftsführer für das Social-Media-Unternehmen finden. Er hat das im Zeugenstand bei einer Gerichtsanhörung getan, bei der er sich in einer Aktionärsklage um ein Abfindungspaket bei Tesla verteidigt hat.
Wie Musk mit Umfragen Nutzernähe demonstriert
Der Ausgang der Abstimmung wird die Berufung eines neuen Twitter-Chefs allenfalls beschleunigen – mehr nicht. Gleichzeitig erlaubt sie es Musk, sich erneut als Unternehmensführer zu inszenieren, der auf die Nutzerschaft hört. Solche «Polls» hat er bereits mehrfach durchgeführt: Er hat die Öffentlichkeit darüber abstimmen lassen, ob der gesperrte Ex-Präsident Trump bei Twitter wieder zugelassen werden sollen. Und letzte Woche hat eine Umfrage stattgefunden, «wie lange die Sperrung der Konten anhalten soll, die meinen genauen Standort in Echtzeit verraten haben».
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Die Sperrung betraf diverse bekannte Journalisten, denen Musk vorwarf, ihn der Gefahr eines Attentats preisgegeben zu haben, weil sie seinen Aufenthaltsort veröffentlicht hätten. Die Journalisten hatten zuvor über die Sperrung des Twitter-Accounts «Elonjet» berichtet. Dieser wiederum hatte anhand von öffentlichen Daten die Position von Musks Privatflugzeug auf Twitter zugänglich gemacht.
Die Sperre der Journalisten hatte Elon Musk einerseits breite Kritik eingetragen, weil sie in eklatantem Widerspruch zu Musks Kampf für die freie Rede steht. Andererseits sprach Věra Jourová, die Vizepräsidentin für Werte und Transparenz der EU-Kommission, eine unmissverständliche Warnung im Namen der EU aus. Das Gesetz über digitale Dienste verlange eine «Achtung der Medienfreiheit und der Grundrechte», schrieb Jourová via Twitter.
Die entscheidende Frage nicht gestellt
Bei der Umfrage hatten sich knapp 59 Prozent dafür ausgesprochen, die Accounts sofort wieder freizugeben, was mit einer gewissen Verzögerung auch passiert ist – aber die viel interessantere Frage hat Musk nicht gestellt: Nämlich, ob es in Ordnung ist, solche Sperren aus einer persönlichen Betroffenheit heraus zu erlassen.
Musk demonstriert das manipulative Potenzial, das in solchen Umfragen steckt – und wie gut sie sich als Ablenkungsmanöver eignen. Denn sein CEO-Referendum hat einen anderen Krisenherd in den Hintergrund gedrängt. Twitter hat begonnen, Links zu anderen Social-Media-Plattformen mit einer Warnung zu versehen oder ganz zu unterbinden.
Das war der offensichtliche Versuch, zu verhindern, dass Nutzer, die Twitter den Rücken kehren wollten, auf ihre Konten bei Facebook, Instagram und Mastodon aufmerksam machen konnten. Twitter hat vorübergehend auch das Konto des Konkurrenten Mastodon gesperrt, weil dessen «hauptsächlicher Zweck die Bewerbung von Konkurrenten» sei.
Es bleibt abzuwarten, ob Musk die Nutzerschaft auch darüber abstimmen lassen wird, wer sein Nachfolger als Twitter-Chef werden soll – und ob das eine Führungspersönlichkeit oder bloss eine Marionette sein wird.
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