Einen Schritt näher am Abgrund
Trump setzt im Konflikt mit China alles auf eine Karte. Es geht um seine Wiederwahl – doch bald könnten die Finanzmärkte verrückt spielen.
Die Liste der Missetaten, die sich China auf der Weltwirtschaftsbühne hat zuschulden kommen lassen, ist zweifellos lang: Seit Jahrzehnten kupfern chinesische Betriebe die Ideen ausländischer Konkurrenten ab. Firmen aus Europa, Amerika und Asien wird der Zugang zu den 1,4 Milliarden Konsumenten des Riesenreichs systematisch erschwert. Zugleich päppelt Peking heimische Konzerne mit Milliarden, damit diese Konkurrenten aus dem Ausland aufkaufen können.
In dieser Woche nun haben die USA den Rivalen aus Fernost darüber hinaus als Währungsmanipulator gebrandmarkt, und ja: Auch in dieser Frage ist Peking schuldig. Allerdings in ganz anderer Hinsicht, als Präsident Donald Trump behauptet: Es ist mitnichten so, dass die chinesische Führung den Kurs des Yuan drückt, um Exporte in die USA zu verbilligen. Sie hat im Gegenteil den Wechselkurs über Jahre künstlich hochgehalten, um genau jener Kritik vorzubeugen, die Trump jetzt vorbringt. Dass dieser ausgerechnet in dem Moment «Währungsmanipulation!» krakeelt, in dem Peking die Manipulationen beendet und den Yuan leicht fallen lässt, zeigt die ganze Absurdität, die den Handelskonflikt zwischen den beiden Ländern mittlerweile kennzeichnet.
In dem Streit geht es längst nicht mehr um Handelsdefizite, Zollsätze und Industriespionage, es geht vor allem um die Frage, welche der beiden Grossmächte die Welt im weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts wirtschaftlich und politisch dominieren wird. Und es geht um die US-Wahl im nächsten Jahr: Trump will einen Sieg unter anderem mithilfe einer Brachialstrategie gegenüber China erzwingen. Peking wiederum möchte seine Wiederwahl verhindern und setzt deshalb vor allem seine Kernwähler wirtschaftlich unter Druck.
Die Sache hat zwei Haken
So irrational Trumps Politik von aussen betrachtet erscheinen mag, so folgerichtig stellt sie sich für ihn selbst dar. Der Präsident weiss genau, dass ein hartes Vorgehen gegen die Volksrepublik nicht nur bei der eigenen Klientel, sondern auch unter Demokraten populär ist. Wenn es zuletzt überhaupt Kritik an seiner China-Politik gab, dann meist die, dass sie noch zu lasch sei. Entsprechend setzt er nun alles auf eine Karte, wie es seinem Naturell als Spieler und Erpresser entspricht. Sollte Peking einlenken, wäre das für ihn ein Triumph, der bis weit ins gegnerische Lager hinein Wirkung entfalten würde.
Die Sache hat jedoch zwei Haken. Zum einen ist der Streit auch für Trumps Gegenspieler Xi Jinping längst zu einer Frage des Prestiges geworden. So wie der US-Präsident die amerikanischen Wähler fürchten muss, so steht auch Chinas Staats- und Parteichef unter Beobachtung der kommunistischen Parteigenossen, von denen manche nur auf einen Fehltritt des grossen Vorsitzenden warten. Auch Xi kann nicht frei agieren, sondern muss jede neue US-Provokation beantworten. Niemand weiss derzeit, wie dieser fatale Kreislauf durchbrochen werden kann.
Rezession wird wahrscheinlicher
Zum anderen erhält der Konflikt durch Chinas Brandmarkung als «Währungsmanipulator» eine zusätzliche Dynamik, die sich rasch als unbeherrschbar erweisen könnte. Solange es nur um Zölle ging, waren die wirtschaftlichen Folgen zwar spürbar, aber auch überschaubar: ein Hilfsprogramm für betroffene US-Landwirte hier, eine Ausnahmeregelung für Handyhersteller dort. Mit der Ausweitung auf Währungsfragen werden jedoch erstmals die Finanzmärkte direkt in den Streit hineingezogen – jene labilen Gebilde, die sich in der Vergangenheit immer wieder groteske Übertreibungen leisteten und, einmal in Wallung, kaum mehr kontrollieren lassen.
Lange Zeit hatten sich vor allem Aktienhändler an Trumps vermeintlich wirtschaftsfreundlicher Politik ergötzt. Nun jedoch könnte die blinde Begeisterung in Panik umschlagen, die Folge wären Kursstürze, welche die Konsum- und Investitionslust von Bürgern und Firmen lähmen würden. Am Ende stünde eine Rezession.
Ein furchterregendes Szenario
Die Gefahr, dass es zu einer solchen Entwicklung kommt, ist seit der erneuten Zuspitzung des Handelsstreits so gross wie seit Überwindung der Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 nicht mehr. Eine Rezession würde weltweit Millionen Arbeitnehmer den Job kosten, Menschen in die Armut und Staaten in den Bankrott treiben. Sie wäre menschengemacht und hätte fatale Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie die Zukunft der westlichen Demokratien. Und doch kann Trump nicht anders, als volles Risiko zu gehen. Es ist angesichts seiner zwar treuen, aber schmalen Kernwählerschaft wohl seine einzige Wiederwahlchance.
Noch furchterregender als eine baldige Rezession ist allerdings ein anderes Szenario: Trump gewinnt die Wahl – und die Wirtschaft bricht erst dann ein. Die Staatengemeinschaft müsste dann mit einem Mann nach Wegen aus der Krise suchen, dem es nie um die Sache, sondern immer nur um sich selbst geht, der einfachste ökonomische Zusammenhänge nicht versteht und Kooperation für ein Zeichen von Schwäche hält. In einem solchen Fall stünde die Welt wohl tatsächlich am Abgrund.
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