Der Horror der US-AbtreibungsverboteJoe Biden wird emotional
Joe Biden reagiert empört auf Nachrichten, dass ein zehnjähriges Mädchen nach einer Vergewaltigung in ihrem Heimatstaat nicht abtreiben durfte. Doch eine Handhabe dagegen hat er kaum.
Der Horror sei in Amerika schon real, sagte ein sichtlich aufgewühlter Joe Biden am Freitag. «Ein 10-jähriges Mädchen wurde Opfer einer Vergewaltigung in Ohio – 10 Jahre alt», sagte Biden. «Sie wurde gezwungen, in einen anderen Staat zu reisen, um ihre Schwangerschaft zu beenden und vielleicht ihr Leben zu retten.»
«Stellen Sie sich mal vor, dieses kleine Mädchen zu sein. 10 Jahre alt», so Biden. Ein solches Mädchen dazu zu zwingen, das Kind seines Vergewaltigers zu gebären, gehöre zum Extremsten, was er sich vorstellen könne.
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Der emotionale Auftritt des US-Präsidenten holte den bereits einige Tage alten Fall zurück in die Schlagzeilen. Biden geht damit ein Risiko ein: Die Geschichte des 10-jährigen Mädchens ist zwar durch die internationale Presse gegangen. Sie beruht jedoch allein auf einem Artikel einer Lokalzeitung, die den behandelnden Arzt aus Ohio zitierte; mit einer Zweitquelle verifizieren liess sie sich bisher nicht, wie die «Washington Post» festhielt.
Biden räumte mit seiner Rede auch indirekt ein, wie unvorbereitet er auf das Ende des Rechts auf Abtreibung war. Als das Oberste Gericht sein Urteil fällte, befand sich Biden am G-7-Treffen in Deutschland. Danach benötigte er ganze zwei Wochen, um seine Antwort vorzubereiten. Dabei war schon seit der mündlichen Beratung des Gerichts im vergangenen Herbst wahrscheinlich, dass das Recht auf Abtreibung fallen würde, seit dem Leak des Urteilsentwurfs im Mai sogar so gut wie sicher.
Zaghafter Biden
Das magere Resultat der wochenlangen Beratungen im Weissen Haus: Biden setzt eine Taskforce ein und lässt einen Bericht schreiben. Das fanden selbst die ihm wohlgesinntesten Demokraten zu zaghaft. Sie hätten sich zumindest mehr Einsatz dafür gewünscht, dass der Kongress das Recht auf Abtreibung in ein Gesetz schreibt.
Einige konkrete Schritte unternimmt die Biden-Regierung immerhin. Sie sichert zum Beispiel die Versorgung mit Notfallverhütungsmitteln, der Pille danach, sowie mit Langzeitverhütungsmitteln. Zudem hat das Justizministerium die Staaten abgemahnt, dass sie Abtreibungspillen nicht verbieten dürften, weil für die Medikamentenzulassung die Heilmittelbehörde FDA zuständig sei. Und Biden hat die Handelsaufsicht FTC gebeten, die Privatsphäre von Patientinnen zu schützen, wenn sie zum Beispiel online Informationen über Abtreibungen suchen – damit die Strafverfolger möglichst keinen Zugriff erhalten auf Daten von Internet-Suchmaschinen und Apps wie Perioden-Trackern. Wie die FTC das umsetzen wird, ist völlig offen.
Nun sind Frauen mit einer Vielzahl rechtlicher Unsicherheiten und kurzfristig wechselnden Regeln konfrontiert. In Louisiana etwa konnten Frauen in der vergangenen Woche noch den ersten Arzttermin für die Vorbesprechung besuchen, doch am Freitag setzte ein Richter plötzlich ein Abtreibungsverbot in Kraft, die einzige in dem Staat verbliebene Klinik musste den Betrieb einstellen. In anderen Bundesstaaten sind uralte und extreme Vorschriften wieder in Kraft getreten, in Wisconsin etwa ein Gesetz von 1849, das Abtreibungen auch bei Inzest und Vergewaltigung verbietet und nur dann zulässt, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. In einigen Staaten ist es möglich, dass Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, sich dafür gegenüber Strafverfolgern rechtfertigen müssen.
Busse für eine Schwangere
Auf den Punkt brachte das Brandy Bottone, 32 Jahre alt, in der 34. Woche schwanger und etwas in Eile auf der Autobahn bei Dallas, weil sie ihren 6-jährigen Sohn abholen sollte. Also fuhr sie auf der Spur links aussen, die Autos mit mehreren Passagieren vorbehalten ist.
Als ein Polizist sie anhielt und fragte, ob sie allein reise, deutete Bottone auf ihren Bauch. Der Ordnungshüter habe ihr dann erklärt, es müssten «zwei Körper ausserhalb des Körpers» sein, und ihr eine Busse von 215 Dollar angehängt. Nicht gelten liess der Polizist auch den Einwand, gemäss den Abtreibungsgesetzen in Texas sei der Fötus eine Person, also müsse das auch im Strassenverkehrsrecht gelten. Brandy Bottone will die Busse anfechten.
Die letzten Hoffnungen der Befürworterinnen und Befürworter eines nationalen Rechts auf Abtreibung ruhen nun auf dem Senat, an den auch Biden appellierte. Die Demokraten dort wollen das Recht in ein Gesetz schreiben und die Opposition der Republikaner umgehen, indem sie die Verzögerungstaktik namens Filibuster dafür ausschalten würden. Der Erfolg wäre aber wohl von kurzer Dauer: Bei der nächsten Gelegenheit dürfte eine republikanische Mehrheit Abtreibungen wieder verbieten.
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