Gesunder Umgang mit SmartphoneMama und Papa am Handy – das ist schon okay
Unser Autor wollte nie ein Vater sein, der ständig online ist. Heute plädiert er für mehr Lockerheit unter Eltern – und für klare Regeln.
Bevor ich Vater wurde, hatte ich mir vorgenommen: So würde das bei mir nicht sein. Es irritiert mich immer wieder, wenn ich es bei anderen Eltern beobachte: Mama oder Papa versunken im Bildschirm, das Kind für sich. Und nun? Zücke ich jedes Mal, wenn ich unser eineinhalbjähriges Kind im Kinderwagen aus dem Haus rolle, mein Handy.
Smartphones sind die Schaltzentralen unseres Alltags, für Eltern sowieso. Wir managen als Familie allerlei damit. Wenn ich das Kind in den Wagen setze und vor mir herschiebe, ist das ein guter Moment, um die Familienagenda zu aktualisieren, die online geteilte Einkaufsliste zu checken, eine Tageskarte für den ÖV zu lösen, meiner Partnerin zu schreiben, dass es mit dem Husten besser geworden ist. Vielleicht schicke ich ihr auch ein kurzes Video, das sie sich in der Mittagspause anschauen kann.
Ich erledige dann Dinge, die mir vorher nicht möglich waren, weil ich mit dem Kind gespielt, es angezogen und gewickelt, uns Porridge gekocht, die Küche aufgeräumt, kurz geduscht und noch eine Wäsche gemacht habe.
Da sind die eigenen Ansprüche: Handy und Kleinkind, das geht nicht zusammen.
Es ist natürlich in Ordnung, auch in Gegenwart der Kinder am Smartphone zu sein. Es ist schlicht unausweichlich. Ich aktiviere mein Gerät im Schnitt um die 70-Mal pro Tag – eine Zahl, die ich an meinen Betreuungstagen tiefer zu halten versuche. Oft gelingt mir das nicht wirklich.
Vielleicht nehme ich mir in diesem Kinderwagen-Moment auch einfach kurz Zeit, ein paar Nachrichten zu beantworten. Ein bisschen whatsappen lässt mich spüren, dass sich nicht alles 24/7 um die Bedürfnisse des Kindes dreht. All das geht natürlich am besten, wenn das Kind nicht meine Aufmerksamkeit sucht, sondern entspannt nach vorne blickend im vertrauten Wagen sitzt.
Ich bin aber auch am Handy, wenn das Kind es mitbekommt, dann aber nur ganz kurz. Ich mache Fotos oder Videos von ihm oder beantworte Nachrichten.
«Smartphones bieten echte Chancen für Interaktion zwischen Eltern und Kindern.»
Mit dem Handy einen guten Umgang zu finden, während ich mit meinem Kind den Tag verbringe, ist eine Herausforderung, jedes Mal aufs Neue. Da sind die eigenen Ansprüche: Handy und Kleinkind, das geht nicht zusammen, ich will doch ganz bewusst da sein, aufmerksam sein. Zum anderen die simple Erkenntnis, die sich schon kurz nach der Geburt einstellte: Das Gerät gehört zu unserem Alltag, wir müssen es nicht (ständig) verstecken, sondern einen Umgang finden, der für Eltern und Kind stimmt.
Es ist ein gesellschaftliches Experiment, das in vollem Gange ist. In der Schweiz läuft dazu eine gross angelegte Studie (Teilnehmende werden noch gesucht). «Kinder brauchen den Austausch mit anderen, gerade mit den Eltern, um grundlegende kognitive und soziale Fertigkeiten zu entwickeln», sagt Nevena Dimitrova von der Fachhochschule für soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne, die an der Studie beteiligt ist. Wenn Eltern zu sehr mit ihren Geräten beschäftigt sind, beeinträchtigt das diese Entwicklung. «Dann verpassen Eltern kommunikative Signale ihrer Kinder, sie sind weniger aufmerksam und leichter reizbar», sagt Dimitrova.
Die Wissenschaftlerin betont aber, dass es wichtig sei, die positiven Aspekte des Handys sowie seine Funktionen im Alltag für Kinder erlebbar zu machen. Es geht darum, die Kinder bei der Nutzung mitzunehmen und zu begleiten, gerade wenn sie älter werden. «Ganz genau so, wie wenn wir ein Buch mit ihnen anschauen würden», sagt Dimitrova. Smartphones böten echte Chancen für Interaktion und Spass zwischen Eltern und Kindern.
Den besten Weg muss jede Familie für sich selbst ausloten. Was wir als Familie versuchen und was auch in einschlägigen Eltern-Podcasts empfohlen wird: Die Handyzeit an Betreuungstagen zu bündeln, also Dauerchecken möglichst zu vermeiden. Das erfordert Disziplin, weil es gegen die eingeschliffenen Gewohnheiten geht. Aber es lohnt sich. Die gemeinsamen Essenzeiten sind handyfrei, die Geräte verstauen wir immer wieder ausser Sichtweite. Es kann auch helfen, Benachrichtigungen oder Apps zu deaktivieren.
Das abwesende, regungslose «Still Face» löst bei Kindern Stress aus.
Wenn etwas eilt oder ich es einfach erledigt haben will (endlich noch die Windeln bestellen, wenn man schon drandenkt, zum Beispiel), dann erkläre ich, was ich tue und melde mich kurz ab. Denn für Kinder verschwinden wir Eltern tatsächlich in diesen Geräten. Das abwesende, regungslose «Still Face», wenn Eltern auf den Bildschirm starren und nicht mehr auf eine Kontaktaufnahme reagieren, löst bei kleinen Kindern Stressreaktionen aus, das ist belegt.
Handy-Dinge, die etwas mehr Zeit beanspruchen, erledige ich, wenn der Nachwuchs eben eine Weile im Wagen sitzt, wenn er seinen Mittagsschlaf macht und auch mal auf dem Spielplatz, wenn ich ihn in der Schaukel anschubse oder er zufrieden am Spielen ist. Wobei immer gilt: Auch nur ein paar Sekunden Abgelenktsein können Folgen haben, Smartphones verschärfen diese Erkenntnis. Wenn das Kind stürzt, während oder weil man husch am Handy war, fühlt sich das doppelt schlimm an.
Was aus wissenschaftlicher Sicht ebenfalls klar ist: Kinder imitieren ihre Eltern. Wie viel Aufmerksamkeit wir dem Gerät schenken, beeinflusst, wie interessant unsere Kinder es finden und wie sie später damit umgehen werden.
Wenn Sie aber das nächste Mal Eltern am Handy sehen, seien Sie beruhigt: Das ist schon in Ordnung so.
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