«Krimi der Woche»Eine Menge Leichen im Keller
Eine junge Frau flieht in Leah Konens Psychothriller «Die Nacht in dir» vor ihrem übergriffigen Freund. Und verstrickt sich in einen brutalen Mord.
Der erste Satz
Menschen haben alle möglichen Vorstellungen davon, was sie machen würden, wenn ihnen etwas zustösst.
Das Buch
Lucy ist mit ihrem Hündchen aus Brooklyn ins ländliche Woodstock geflohen – ihr Freud Davis hatte sie psychisch sowie körperlich bedroht und misshandelt. «Über das Untertauchenwollen wusste ich das eine oder andere. Einfach ins Nichts entschwinden, wo Davis mich niemals finden konnte. Nicht den kleinsten Beweis meiner Existenz zurücklassen. Keine kaputte Beziehung. Keine verlorenen Eltern. Nichts, weshalb mich irgendjemand bedauern müsste.» Sie bezieht ein kleines Häuschen. Sehr schnell freundet sie sich mit ihren netten Nachbarn Vera und John an, sie ist Galeristin, er Künstler.
So beginnt «Die Nacht in dir», der erste Thriller der in Brooklyn lebenden Autorin Leah Konen, die bisher eine Reihe von Romanen für Jugendliche veröffentlicht hat. Es ist eine Geschichte, die in erster Linie von Gefühlen der Bedrohung und von Panik getrieben wird. Lucy lebt in ständiger Angst, dass Davis sie finden könnte. Und immer öfter hat sie das Gefühl, dass jemand in ihrem Häuschen war, wenn sie zurückkehrt. Sachen scheinen plötzlich an einem anderen Ort zu sein oder zu verschwinden. Halt findet sie in der Beziehung zum Nachbarspaar. Immer mehr Zeit verbringt sie mit Vera und John, wobei immer viel getrunken wird. Und Lucy verguckt sich ein bisschen in John.
Wieso ist Lucys Vormieterin, die ebenfalls mit Vera und John befreundet war, plötzlich ausgezogen?
Doch warum warnt eine Nachbarin sie vor dem Paar? Wer steckt ihnen Drohbriefe in den Briefkasten? Warum werden die beiden im Ort wie Aussätzige behandelt? Wieso ist Lucys Vormieterin, die ebenfalls mit Vera und John befreundet war, plötzlich ausgezogen? John soll mit einem jungen Mädchen eine Beziehung gehabt haben, und dessen Vater bedroht ihn nun immer heftiger.
Das Paar zieht Lucy in einen abenteuerlichen Plan, um dem zu begegnen: Die beiden wollen einen Unfalltod von John vortäuschen und dann verschwinden. Um die Beziehung zum Paar nicht zu gefährden, macht Lucy mit. Doch dann ist John wirklich tot. Erstochen. Und Lucy ist eine der Verdächtigen.
Der Leser fragt sich zunehmend, wie weit er der Icherzählerin trauen kann.
Die Geschichte hat zwar manchmal einige Längen, doch der Plot ist geschickt konstruiert und bietet ein paar Wendungen, die so nicht absehbar waren. Das hält den Roman spannend und unterhaltsam. Alle Figuren haben ihre Geheimnisse, es wird viel gelogen.
Und Lucy ist auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, der sie jedoch kaum entkommen kann. Ständig steht sie vor der Frage, wem sie trauen kann. Und der Leser fragt sich zunehmend, wie weit er der Icherzählerin trauen kann. Denn diese hat, wie sie einmal beiläufig bekennt, «ebenfalls Leichen im Keller, eine Menge sogar».
Die Wertung
- Originalität: ★★★★☆
- Spannung: ★★★☆☆
- Realismus: ★★★☆☆
- Humor: ★★☆☆☆
- Gesamteindruck: ★★★☆☆
Die Autorin
Leah Konen, geboren in den 1980er-Jahren, wuchs in einer bäuerlichen Kleinstadt im US-Bundesstaat Washington auf. An der University of North Carolina in Chapel Hill studierte sie Journalismus und englische Literatur. Nach dem Studienabschluss im Jahr 2007 machte sie ihren Traum wahr, Schriftstellerin zu werden. Inzwischen hat sie erfolgreich mehrere Romane für Jugendliche veröffentlicht. Der Thriller «All the Broken People», im Original gleichzeitig mit der deutschen Version «Die Nacht in dir» erschienen, ist ihr erstes Buch für Erwachsene.
Leah Konen lebt mit ihrem Mann, ihrer kleinen Tochter Eleanor und ihrem Hund Farley im New Yorker Stadtteil Brooklyn und in Saugerties, einer Kleinstadt etwa zwei Stunden nördlich von New York City im Hudson Valley. Ganz in der Nähe von Saugerties liegt der kleine Ort Woodstock, der durch das Musikfestival im Jahr 1969 weltberühmt geworden und nun der Schauplatz von Leah Konens Thriller ist.
Leah Konen: «Die Nacht in dir» (Original: «All the Broken People», G. P. Putnam’s Sons, New York 2020). Aus dem Englischen von Kirsten Reimers. Droemer, München 2020. 365 S., ca. 23 Fr.
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