Doku über Erica JongEine Feministin, die den Sex begehrt
Erica Jong ist eine Pionierin, die Feministin der 68er hat schon früh das Recht der Frauen auf freie Sexualität gefordert. Nun hat der Zürcher Regisseur Kaspar Kasics sie in einem schönen Dokumentarfilm porträtiert.
Selbst auf der Videoschalte aus ihrem New Yorker Arbeitszimmer strahlen ihre schönsten Eigenschaften bis ins La Sala hinein, den schmucklosen Kinoraum am Filmfestival von Locarno: ihre Vitalität, ihre Intelligenz und ihr Humor.
Alle drei Eigenschaften hat der Zürcher Regisseur Kaspar Kasics in seinem Filmporträt von Erica Jong eingefangen, der unerschrockenen Pionierin des Feminismus. Und ohne dass er es kommentiert, denn Kritik an der Protagonistin kommt in «Erica Jong – Breaking the Wall» keine auf, zeigt sein Film auf subtile Art auch die anderen Seiten der Autorin auf: ihre grandiose Selbstbezogenheit, ihre Kontrollwut und ihre fast schon kindliche Freude an der Selbstinszenierung.
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Von der Videoleinwand herunter formuliert Jong Dankbarkeit für das Interesse ihres Regisseurs, Gleichmut gegen all die Demütigungen, die sie als Frau und Feministin erfahren hat. Und die Erkenntnis, dass es zwar immer noch langsam gehe mit der weiblichen Gleichberechtigung, aber trotzdem vorwärts.
Der Film zeigt die schönsten Eigenschaften der amerikanischen Feministin auf: ihre Vitalität, ihre Intelligenz und ihren Humor.
Der reissverschlussfreie Fick
Mit 31 Jahren wurde die New Yorkerin, die an der Columbia-Universität ihrer Heimatstadt englische Literatur studiert hatte, dank ihres ersten Buches von 1973 weltberühmt. Aufregend daran war, dass sie darin Sex, Komik und weibliche Zweifel auf unnachahmliche Weise thematisierte. «Fear of Flying», ein Buch über sie und auch ihre zweite Ehe mit einem Psychoanalytiker, hat sich bis heute über 20 Millionen Mal verkauft. Und wird als kämpferischer Forderungskatalog von Frauen nach Freiheit, Sexualität und erotischen Fantasien gleichermassen gefeiert wie beschimpft.
Eine dieser Fantasien, die sie in ihrem Buch «zipless fuck» nennt, den reissverschlusslosen Fick, beschreibt die plötzliche Lust einer Frau auf heissen, anonymen, schuldfreien Sex mit einem Unbekannten. Diese bloss imaginierte Szene wurde noch berühmter als das Buch selber. Immer noch wird sie zitiert, auch von der Autorin selber.
Erica Jong weiss um die Ironie, dass sie heute, schon nur dieser Formulierung wegen, von den jungen Feministinnen der Woke-Generation metaphorisch in Stücke gerissen würde. Auf die entsprechende Frage antwortet sie in Locarno, dass ihr das schon damals passiert sei, halt vor allem von Männern. Auch diese Mentalität belegt Kasics’ schöner Film anhand historischer Fernsehaufnahmen: mit welchem Selbstverständnis die Moderatoren jener Zeit die junge Autorin vor laufender Kamera korrigierten, belehrten und auf sie eindozierten. Sie waren dermassen von sich selbst überzeugt, dass sie es nicht einmal merkten.
Die schärfste Rivalin aber fand Erica Jong, die in einer wohlhabenden jüdischen Familie an der Upper East Side aufwuchs, in der eigenen Mutter. Diese habe eifersüchtig auf ihre gute Beziehung mit dem Vater reagiert, erzählt die Autorin im Film, und sie habe auch den Erfolg der Tochter nicht ertragen. Jongs Mutter, das beschreibt Jong in ihrem letzten Buch «Fear of Dying», erkrankte im hohen Alter an Demenz. Der geliebte Vater, ein Gesundheitsasket, wurde 93 Jahre alt.
Beim Yoga im Central Park
Der Film zeigt die Autorin zu Hause in ihrer Wohnung mit unbezahlbarem Blick auf den East River, beim Yoga im Central Park (sie trägt ein T-Shirt mit dem Gesicht von Ruth Bader Ginsburg drauf, der ersten Feministin am Obersten Gericht der USA), beim Schreiben ihrer Autobiografie (von Hand), im Spiel mit ihren Enkelkindern (die sie offensichtlich liebt), in Venedig (sie hat mehrere ihrer Bücher in dieser Stadt geschrieben) und zu Hause mit ihrem Mann Ken Burrows (der sie ebenso offensichtlich liebt). Beide waren viermal verheiratet, bei beiden hat es beim letzten Mal geklappt, sie sind jedenfalls seit dreissig Jahren zusammen.
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Kaspar Kasics erklärt im Gespräch, was die beiden zusammenbrachte und zusammenhält: Sie hätten beide den gleichen Humor. Und er die Bereitschaft, ihr den Vordergrund zu überlassen, ohne sich ihr zu unterwerfen. Ihr Mann hätte Richter werden sollen und nicht Anwalt, sagt seine Frau über ihn. «Er hat viel zu viel Empathie. Scheidungsanwälte in New York sind Killer.» Der Mann lacht und widerspricht.
Wie stellt man eine Autorin dar?
Erica Jong habe eine ganze Weile gebraucht, sagt Kasics, bis sie ihn habe filmen lassen, was ihn interessiert habe. «Sie fand das meiste nicht relevant», erinnert er sich. «Aber ihr war lange nicht bewusst, dass man das Schreiben selber nicht filmen kann.» Ausserdem meine sie immer, sie müsse als Schriftstellerin jede Situation erfassen und dann druckreif formulieren.
Zwei Details seines Films sind schwieriger nachzuvollziehen. So verzichtet Kasics auf schriftliche Hinweise im Film, weshalb man manchmal eine Weile braucht, bis man weiss, wer jeweils im Bild ist. Das liesse sich ja noch ändern, sagt der Regisseur. Dazu kommt, dass niemand seinen Untertitel versteht, der sich nicht auskennt, weil der klingt wie eine Fussnote. «Breaking the Wall» wolle ausdrücken, sagt Kasics, dass Erica Jong «eine Mauer für die Selbstbefreiung der Frau durchbrochen hat» – und dies in einer männerdominierten Zeit, was sich selbstverständlich auch auf die Wahrnehmung der weiblichen Sexualität ausgewirkt habe. Das mag alles stimmen; als Anpreisung eines Filmes funktioniert es trotzdem nicht.
Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass es seiner Hauptfigur in jedem Moment, in dem die Kamera läuft, ausschliesslich um sich selber geht.
Dafür zeigt Kasics in zwei Begegnungen der alten Feministin, wie ermutigend sie auf junge Frauen eingehen kann. So empfängt sie bei sich zu Hause eine Journalistin aus einem arabischen Land, die ihr auf drastisch sachliche Weise erzählt, wie Männer in ihrer Heimat mit Frauen umgehen. Ohne männliche Begleitung, sagt sie, seien die Frauen der Belästigung fremder Männer ausgeliefert. Diese würden sich auch deshalb so aufsässig benehmen, weil ihr Verhalten in ihrem Land als Selbstverständlichkeit wahrgenommen werde.
Später in Venedig spricht Erica Jong am Rand eines Kanals mit einer Frau, die als Gondolierin arbeitet. Die hat es offensichtlich satt, Touristen gegenüber ihre Erlebnisse als Frau in diesem demonstrativ männlichen Beruf zu rapportieren. Aber bei Erica Jong macht sie eine Ausnahme, weil diese Frau sie interessiert.
Doch selbst in solchen Momenten, die Erica Jong als kontaktfreudige, neugierige Person zeigen, lässt der Film keinen Zweifel daran, dass es seiner Hauptfigur in jedem Moment, in dem die Kamera läuft, ausschliesslich um sich selber geht. Dass sie es so offen zeigt, spricht wieder für sie.
Kaspar Kasics: «Erica Jong – Breaking the Wall». Läuft im Winter 2022/23 in den Schweizer Kinos.
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