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Meinung

Eine fast unmögliche Mission

Zitterpartie in Brüssel: Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seine designierte Nachfolgerin Ursula von der Leyen. Foto: Reuters
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Nicht ausgeschlossen, dass Ursula von der Leyen da auf eine unmögliche Mission geschickt wurde. Klarheit wird es spätestens geben, wenn die 751 EU-Abgeordneten am Dienstagabend ihr Urteil über die designierte Kommissionspräsidentin gefällt haben. So oder so dürfte die Wahl der Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker relativ knapp ausfallen.

Zuvor wird von der Leyen am Dienstagmorgen um 9 Uhr die vielleicht wichtigste Rede ihrer schon längeren politischen Karriere halten. Es ist die letzte Chance für die deutsche Christdemokratin, Skeptiker zu überzeugen. Und von denen gibt es nach dem Werbefeldzug der letzten Tage mehr, als der bisherigen deutschen Verteidigungsministerin recht sein kann. Die 60-Jährige kann sich nur der Unterstützung der eigenen konservativen Parteienfamilie sicher sein, der 182 Abgeordneten der Europäischen Volkspartei.

Für eine stabile Mehrheit braucht von der Leyen auch die Stimmen der 153 Sozialdemokraten und 108 Liberalen. Doch dort legt sich eine Mehrheit bisher nicht fest. Die Fraktionen der Grünen und der Linksradikalen sind von den Hearings diese Woche so enttäuscht, dass sie die designierte Juncker-Nachfolgerin überhaupt ablehnen wollen. Wenn es am Ende nur mit der Unterstützung der Euroskeptiker aus Polen oder der Abgeordneten von Italiens populistischer Lega für eine Mehrheit reicht, wäre das kein guter Start.

Ursula von der Leyen muss vage bleiben, um nicht kritische Stimmen zu verlieren.

Ursula von der Leyen ist als Quereinsteigerin in Brüssel in einen politischen Strudel geraten, den sie sich wohl so nicht vorgestellt hat. Die De­batte um die Besetzung des wichtigsten Jobs in Brüssel wird ohne Rücksicht auf Verluste geführt, ein Ergebnis der Polarisierung und Fragmen­tierung der politischen Landschaft auch auf EU-Ebene. Die designierte Kommissionspräsidentin ist Opfer in einem Machtkampf zwischen EU-Parlament und den Staats- und Regierungschefs. Diese schlagen den Kommissionspräsidenten vor, und zwar im Lichte der Ergebnisse der Europawahl, heisst es im EU-Vertrag. 2014 waren die grossen politischen Familien erstmals mit Spitzenkandidaten in den Wahlkampf gezogen. Mit der Idee, der EU mehr Transparenz und mehr demokratische Legitimation zu verschaffen. Jean-Claude Juncker trat für die Konservativen an, Martin Schulz für die Sozialdemokraten. Die Lage war relativ übersichtlich, der Luxemburger kam zum Zug.

Fünf Jahre später haben die beiden grossen Parteien nach der Europawahl erstmals keine gemeinsame Mehrheit mehr. Um den Machtanspruch gegenüber den Mitglieds­staaten durchzusetzen, hätte es zusätzlich die Unterstützung der Liberalen gebraucht. Schon das wäre nicht einfach gewesen, doch zusätzlich sind auch die politischen Fronten verhärteter als vor fünf Jahren. Die Positionen sind dogmatischer, Zentrifugalkräfte machen Kompromisse immer schwieriger. Sozialdemokraten und Liberale wollten Manfred Weber nicht unterstützen, Spitzenkandidat der trotz Verlusten immer noch stärksten Konservativen. Umgekehrt wollten die Konservativen auch dem zweitplatzierten Sozialdemokraten Frans Timmermans oder den drittstärksten Liberalen mit Margrethe Vestager nicht zum begehrten Topjob verhelfen.

Vom Niederländer Timmermans, als Kommissionsvize Herr über die Rechtsstaatverfahren gegen die rechtsnationalen Regierungen in Budapest und Warschau, wollten zudem die Osteuropäer und Italien nichts wissen. Eine Wahl des Sozialdemokraten wäre vielleicht rein rechnerisch knapp möglich gewesen. Die EU wäre aber mit Timmermans an der Spitze weiter auseinander-gedriftet.

Die Staats- und Regierungschefs haben Ursula von der Leyen recht unvorbereitet auf diese schwierige Mission geschickt.

Diese Vorgeschichte vergiftet jetzt das politische Klima in Brüssel. Wer Kommissionspräsident werden will, braucht eine doppelte Mehrheit. Eine qualifizierte Mehrheit unter den Staats- und Regierungschefs sowie eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament. Im Parlament ist der Unmut darüber gross, dass die Staats- und Regierungschefs mit der deutschen Verteidigungsministerin keinen der Spitzenkandidaten vorge­schlagen haben. Dabei kam Ursula von der Leyen als Kompromisskandidatin nur ins Spiel, weil das Parlament sich selber blockierte.

Die Staats- und Regierungschefs haben Ursula von der Leyen recht unvorbereitet auf diese schwierige Mission geschickt. EU-Parlamentarier beklagen den Rückschlag für die europäische Demokratie, schimpfen über den angeblichen Hinterzimmerdeal, der zur überraschenden Nominierung geführt hat. Die Abge­ordneten schüren unnötig die Politikverdrossenheit und blenden aus, dass auch die Regierungen demokratisch legitimiert sind. Das Verfahren mit den Spitzenkandidaten müsste in fünf Jahren dringend mit transnationalen Wahllisten ergänzt werden, um den Erwartungen gerecht zu werden. Denn nur mit transnationalen Listen könnten wirklich alle EU-Wahlberechtigten mitbestimmen, wer Kommissionspräsident wird. Manfred Weber und Frans Timmermans haben zwar europaweit an Fernseh­debatten teilgenommen, gewählt werden konnten sie aber nur in ihren Heimatländern.

Ursula von der Leyen soll es jetzt allen im EU-Parlament recht machen. Eine Kommissionspräsidentin kann aber nicht im Alleingang die Wiederaufnahme der Seenotrettung im Mittelmeer beschliessen oder das Klima retten. Sie kann vieles vorschlagen, doch am Ende entscheiden die Mitgliedsstaaten den Kurs. Die Fraktionen erwarten am Dienstag bei der Bewerbungsrede Antworten. Doch Ursula von der Leyen muss vage bleiben, um nicht kritische Stimmen zu verlieren. Bleibt sie zu vage, ist es auch nicht gut. Die de­signierte Kommissionspräsidentin muss einen Weg aus diesem Dilemma finden, wenn sie die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antreten will.