Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Ein Zürichseeschiff schrieb Geschichte

1 / 3
Die Schemazeichnung verdeutlicht die komplexe Technik der verstellbaren Propellerflügel.
Das Motorschiff Etzel ist ein unscheinbarer Zeitzeuge der technischen Entwicklung im Schiffsantrieb und heute in Privatbesitz.
Kapitän Stefano Butti kennt die Geschichte und die Besonderheiten der MS Etzel genau.

Josef Ressel hat den Schiffen den Wind aus den Segeln genommen. Die Erfindung des österreichischen Forstbeamten, der 1827 seine «Schraube ohne Ende zur Fortbewegung der Schiffe» patentieren liess, war aber erst der Anfang der Entwicklung der Schiffsschraube. Sogleich begannen Ingenieure und Erfinder die neue Antriebsart auf dem Wasser zu perfektionieren.

Bereits 1850 wurde auch mit Schrauben experimentiert, bei denen die Propellerflügel demontiert, weggeklappt oder gleich die komplette Schraube bei Nicht­gebrauch strömungsgünstig platziert werden konnte. Sie waren aber in der Leistungsübertragung beschränkt. Das war nur bei Booten möglich, für grosse Schiffe konnten diese Systeme nicht angewendet werden. Erst 1934 gelang mit dem Motorschiff Etzel auf dem Zürichsee der Durchbruch.

Der Pionier von Escher Wyss

Treibende Kraft und somit der massgebliche Entwickler des hydraulischen Verstellpropellers oder Wendepropellers, wie er diesen selber nannte, war der Aero- und Hydrodynamiker Jakob Ackeret. Er wurde 1898 in Zürich als Sohn eines Schlossermeisters geboren und studierte später an der ETH Zürich Maschinenbau. Bei der Escher Wyss AG befasste er sich mit der Kavitation von Wasserturbinen sowie dem Bau von Dampf- und Gasturbinen.

Als Leiter des Labors für Hydraulik- und Strömungsmaschinen bei der Escher Wyss AG befasste sich Ackeret in den 1920er-Jahren intensiv mit der 1913 ­patentierten Kaplan-Turbine und deren verstellbaren Schaufeln zur optimierten Nutzung der Wasserkraft. «Sollte es einer sowohl Schiffe wie auch Turbinen bauenden Firma nicht möglich sein, die im Turbinenbau gewonnenen Erkenntnisse auf die Schiffsschraube zu übertragen?», fragte sich Ackeret.

Etwas Neues für Landi 1939

Dem Ingenieur kam der Wunsch der Zürcher Dampfbootgesellschaft (ZDG) zugute, im Hinblick auf die Schweizerische Landes­austellung 1939 eine technische Innovation als Publikumsattraktion zu präsentieren. Der Verwaltungsrat prüfte seit 1931 die Anschaffung eines neuen Schiffs. Die ZDG beauftragte 1933 die Firma Escher Wyss mit dem Bau eines neuen Schiffs für die Querverbindung im oberen Seeteil. Die Tragfähigkeit sollte 200 Personen betragen.

Am 1. März 1934 wurde das neue Schiff Etzel von der Escher- Wyss-Schiffbauhalle zum Hafen Enge transportiert und vom Stapel gelassen, am 8. Juni nahm es seinen Dienst auf dem Zürichsee auf. Der erste Verstellpropeller funktionierte auf Anhieb einwandfrei. Anfängliche Bedenken, die Schiffsführer könnten Mühe mit der Bedienung oder den Besonderheiten dieses neuartigen Antriebssystems haben, bewahrheiteten sich nicht. Professor Ackeret schrieb in seiner Analyse: «Die Steuerleute eignen sich in kurzer Zeit die Fähigkeit an, mit dem Boote mit Wendepropeller zu fahren.»

Vor- und Nachteile

Sobald die Schiffsmaschine gestartet wird, dreht sich auch die auf Nullschub gestellte Schiffsschraube. Es gibt kein Wendegetriebe. Der Antrieb kann somit bei Marschdrehzahl des Schiffsmotors stufenlos von Voraus auf Zurück umgestellt werden, das Schiff also schnell, langsam, vorwärts- und rückwärtsfahren. Damit ist eine erhebliche Zeitersparnis verbunden, der Bremsweg wird verkürzt. Zudem ist das System vorteilhaft für unterschiedliche Belastungen – Schiffe, die einmal leer und einmal beladen fahren. In Fliessgewässern wird beim stehenden Schiff der auf null gestellte Propeller durch das vorbeiströmende Wasser nicht bewegt. Somit entstehen keine mechanischen Belastungen an der Antriebsanlage.

Der grösste Nachteil des Verstellpropellers ist seine aufwendige mechanische Bauweise. Der Mechanismus erfordert einen Wartungsaufwand und Propellerschäden ziehen einen hohen Reparaturaufwand nach sich. Die energetische Effizienz des Vortriebes ist zwar gut, jedoch trotzdem nicht ganz so optimal wie bei einem Festpropeller, der in seinem Nenndrehmoment arbeitet. Schiffe, die über lange Strecken mit konstanter Geschwindigkeit fahren und selten Manöver ausführen, werden deshalb besser mit Festpropellern ausgerüstet.

Ganze Flotte umgerüstet

Mit dem Motorschiff Etzel und den später dazugekommenen Schiffen der Landesausstellung 1939 begann für die Schifffahrt auf dem Zürichsee eine neue Ära. Sämtliche Schiffsneubauten der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft (ZSG) bis in die Siebzigerjahre hinein wurden mit Verstellpropellern ausgerüstet. Die Schiffe Linth, Glärnisch, Säntis, Limmat, Bachtel, Helvetia und Wädenswil erhielten Anlagen von Escher Wyss. Die kleine MS Stäfa wurde 1944 von der Firma Sulzer kostenlos mit dem ersten und einzigen Sulzer-Verstellpropeller bestückt.

Mit dem Verstellpropeller zog auch eine effiziente Betriebskultur in die ZSG ein. Durch die ­guten Manöver- und Bremseigenschaften konnten viele Landestellen bedient und trotzdem in einem vernünftigen Zeitraum zur Endstation in Rapperswil gelangt werden. Als aber um die Jahrtausendwende die langsam laufenden, durch ihren langen Hub drehmomentstarken Schiffsdieselmotoren sukzessive durch ­moderne Schnellläufermotoren ersetzt wurden, passten die neuen Aggregate nicht mehr optimal zum Verstellpropeller.

Eine Ära klingt aus

Die logische Konsequenz ist daher der Austausch des gesamten Antriebsstranges. Auf dem Zürichsee sind die Motorschiffe Helvetia und Limmat bereits auf Festpropeller umgerüstet worden, bei den Schiffen Wädenswil und Linth ist die Umrüstung beschlossen und wird in den nächsten Winter­perioden umgesetzt. In Zukunft werden daher alle grossen Zürichseemotorschiffe von festen Propellern angetrieben sein. Der Verstellpropellerantrieb ist also auf seiner einstigen Hochburg, dem Zürichsee, da wo diese innovative Technik einst ihre Weltpremiere feierte, langsam, aber sicher dem Untergang geweiht.

Hingegen ist mit der MS Etzel, welche heute von der Genossenschaft MS Etzel erfolgreich betrieben wird, der weltweit erste hydraulische Verstellpropeller noch immer in regelmässigem Einsatz. Die «Versuchsanlage» Etzel funktioniert nach wie vor tadellos. An der Etzel-Generalversammlung 2012 wurden die Gesellschaftsstatuten angepasst und der Erhalt der historischen technischen Anlagen der MS Etzel sowie die nachhaltige Finanzierung derselben thematisiert und statutarisch verankert. Damit dürfte immerhin der weltweit erste hydraulische Kaplan-Wendepropeller der Schifffahrtsgeschichte definitiv auf seinem Heimatgewässer gesichert sein.

Stefano Butti (47) ist Kapitän der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft (ZSG). ln seiner Freizeit schreibt er Beiträge für nautische Fachzeitschriften. Butti setzt sich seit 1999 für den Erhalt des in der ZSG ausgemusterten Motorschiffs Etzel ein.