Flug mit Boeing 777 in NötenEin zerstörtes Triebwerk und die bange Erinnerung an frühere Fälle
An einem Motor von Flug UA328 waren zwei Schaufeln mit grosser Wucht zerbrochen. Womöglich passierte Ähnliches beim gleichen Flugzeug-Typ bereits zwei Mal zuvor.
Die Bilder, schnell verbreitet in den sozialen Medien, sind spektakulär. Aus der Kabine, gefilmt von einem Passagier, ist ein brennendes Triebwerk zu sehen, dessen Verkleidung fehlt. Vom Boden aus entstehen Fotos, die das Flugzeug zeigen, wie es in niedriger Höhe eine lange Rauchfahne hinter sich herzieht. Und dann gibt es da noch ein Metallteil, das sich in das Dach eines geparkten Autos bohrt. Zwei Triebwerkschaufeln der Maschine waren unter annähernder Volllast kurz nach dem Start mit so grosser Wucht zerbrochen, dass sie die Triebwerkshülle abrissen.
Es gab am Ende keine Verletzten, und die Boeing 777-200 der United Airlines ist am Samstag auch gleich wieder an den Flughafen von Denver, Colorado, zurückgekehrt. Dennoch blieb der kapitale Motorschaden nicht ohne Folgen: Am Sonntagabend ordnete zunächst die amerikanische Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) genaue Untersuchungen aller Flugzeuge an, die den gleichen Triebwerkstyp verwenden. Dann empfahl sogar Hersteller Boeing den Kunden, die Maschinen vorläufig aus dem Verkehr zu ziehen, bis die FAA neue Inspektionsregeln erlassen hat. Und die Flugunfalluntersuchungsbehörde National Transportation Safety Board (NTSB) begann eine formale Untersuchung des Vorfalls.
Betroffen vom temporären Flugverbot sind weltweit 128 ältere Boeing 777, die mit Triebwerken des Typs Pratt & Whitney PW4000 ausgestattet sind. Wegen der Corona-Pandemie fliegen von den Maschinen derzeit nur 69. Eingesetzt werden die Pratt-777s von United sowie Japan Airlines, All Nippon Airways, Korean Air und Asiana. Seit 2004 verbaut Boeing auf den moderneren Varianten der 777 nur noch Motoren des Pratt-Konkurrenten General Electric.
Der Lufthansa-Konzern hat einem Sprecher zufolge bei den Gesellschaften Lufthansa Cargo, Swiss und Austrian ausschliesslich Triebwerke von General Electric im Einsatz, die nicht betroffen sind.
Das jetzige Flugverbot betrifft also nur eine relativ kleine Teilflotte des Langstreckenmusters und bezieht sich auf eine vergleichsweise leicht identifizierbare und aus der Welt zu schaffende Ursache. Es ist damit in Ausmass und Bedeutung nicht ansatzweise vergleichbar mit dem jüngst aufgehobenen Flugverbot der Boeing 737 Max, die fast zwei Jahre lang nicht abheben durfte. Dennoch zeigt der Fall, wie schwer es oft ist, aus über Jahrzehnten in der Flugzeugwartung gewonnenen Erkenntnissen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Und was passieren kann, wenn nicht rechtzeitig Korrekturen beschlossen werden.
Gleich drei Unfälle des gleichen Musters
Dass Boeing gleich die Teilflotte aus dem Verkehr ziehen lässt, liegt daran, dass der gleiche Fehler womöglich nicht nur auf dem Flug UA328 vom Samstag passiert ist, sondern bereits zwei Mal zuvor: im Februar 2018 bei einer anderen United-Maschine auf dem Flug von San Francisco nach Honolulu und im Dezember 2020 bei einer Japan-Airlines-777 auf dem Weg von Naha nach Tokio. Auch bei diesen beiden ebenfalls glimpflich abgelaufenen Schäden hatte es Triebwerke der gleichen Pratt-Serie zerlegt.
Der erste United-Flug (UA1175) ist besonders interessant: 2010, also acht Jahre vor dem Motorschaden, hatten Techniker bei einer Routineinspektionen an einer Triebwerkschaufel etwas festgestellt, das wie ein beginnender Riss aussah. Sie hielten dies aber für einen Testfehler und die Sache für unbedenklich. Fünf Jahre später war der Motor erneut in einer Wartung aufgefallen: Der Riss hatte sich mittlerweile vergrössert, aber wieder kamen die Mitarbeiter zu dem Schluss, dass der Test nicht korrekt und die Schaufel in Ordnung war. Das Triebwerk flog noch weitere drei Jahre, bis die Schaufel auf dem Honolulu-Flug schliesslich genau an der Stelle barst, die schon Jahre vorher als Schwachpunkt identifiziert worden war.
Die anschliessende Untersuchung ergab, dass die Schulungen der Techniker verbessert werden mussten, damit diese künftig echte Materialmängel von Fehlalarmen unterscheiden können. Die FAA ordnete zudem kürzere Wartungsintervalle an, um die einschlägigen Flugzeuge besser überwachen zu können.
Knapp drei Jahre später ist es nun also zu zwei weiteren, sehr ähnlichen Vorfällen gekommen. Bei beiden brach eine Schaufel an der Wurzel ab und durchtrennte anschliessend eine benachbarte auf etwa halber Höhe. Die NTSB wird einen ersten Untersuchungsbericht gemäss internationalem Protokoll innerhalb eines Monats vorlegen. Die Umstände und Indizien deuten auf einen Fall von Materialermüdung hin. Die Maschinen der Serie dürften erst dann wieder eingesetzt werden, wenn alle Schaufeln überprüft und defekte Teile ersetzt worden sind. Ebenfalls wird zu klären sein, warum offenbar auch die verkürzten Intervalle und neuen Schulungsinhalte die spektakulären Pannen nicht haben verhindern können.
Solche und ähnliche Probleme mit Triebwerken sind allerdings nicht völlig ungewöhnlich. Sie betreffen auch andere Hersteller und Motoren. Zuletzt hatte Rolls-Royce massive Qualitätsprobleme mit ihren Trent 1000-Motoren, die auf der Boeing 787 verwendet werden. Im November 2010 zerbrach in einem Trent 900-Triebwerk eines Qantas-Airbus A380 eine Schaufel im Inneren des Motors. Das explodierende Triebwerk beschädigte auch andere Systeme wie die Hydraulik. Die Reparaturen dauerten über ein Jahr und kosteten fast 150 Millionen US-Dollar (lesen Sie dazu auch den Artikel von damals: Triebwerke am absoluten Limit).
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