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Ein unheimliches Brummen als Schlafkiller

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Tschudiwies ist eigentlich ein normales Quartier, wie es sie in jeder Schweizer Stadt gibt. Es liegt im Zentrum St. Gallens, südlich vom Bahnhof, und zählt ein paar Hundert Einwohner. Gegen die Innenstadt weist es grosse Bauten mit Büros und Gewerbe auf, stadtauswärts gibt es Wohngebiete mit kleinteiliger Bebauung. Hier verläuft die verkehrsberuhigte Tschudistrasse.

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Im Mitteilungsblatt des Quartiervereins Tschudiwies-Centrum erschien kürzlich ein beunruhigender Artikel zu dieser Strasse. Seit Jahren brumme es dort. «Manchmal tönt es wie ein grosser Sturm, dann wieder wie in einer Transformatorenstation, ein anderes Mal, wie wenn in einer nahen Garage ständig ein Motor laufen oder in der Strasse Beton gemischt würde», schreibt das Blatt. Das Geräusch würden mehrere Bewohner dreier Liegenschaften hören. Tagsüber für einige Stunden, manchmal auch nachts. Die Betroffenen könnten nicht schlafen, seien gestresst und genervt.

Deshalb haben die Bewohner unabhängig und ohne Wissen voneinander nach der Ursache gesucht. Polizeipatrouillen kamen nachts, Heizungen wurden überprüft, die SBB angefragt, ob womöglich Bauarbeiten oder Bahn­betriebsemissionen dafür verantwortlich sein könnten, das städtische Amt für Baubewilligungen klärte ab, ob sich Wärmepumpen in der Nähe befinden. Auch die Stadtwerke wurden eingeschaltet: Kontrolliert wurde ein möglicher Zusammenhang mit Geothermiebohrungen, dem Pumpspeicherwerk und kürzlich verlegten Glasfaserleitungen. Alles ergebnislos.

Eine alte Leidensgeschichte

«Vielleicht hat man einen Sprung in der Schüssel», hinterfragt sich die Verfasserin des Artikels, Ingrid Jacober. Sie ist Vizepräsidentin des Quartiervereins und sitzt zudem im Vorstand der Grünen Stadt St. Gallen. «Gibt es weitere Menschen im Quartier, die wegen des Brummens schlecht schlafen können?» Das «St. Galler Tagblatt» nahm den Aufruf des Quartierhefts auf und löste in der Ostschweiz einen kleinen medialen Sturm aus. «Bevor wir an die Öffentlichkeit gingen, waren es zusammen mit mir drei Personen», sagt Jacober zu Redaktion Tamedia. Danach sei sie von Anrufen, E-Mails und Briefen aus dem Quartier, der Stadt und der ganzen Schweiz überrollt worden. «In meiner unmittelbaren Umgebung sind mir bereits aus sechs Liegenschaften Betroffene bekannt.»

Durchkämmt man das Archiv der Schweizer Presse, stösst man bald auf den Begriff Brummtonphänomen. Allerdings erschienen die letzten Berichte dazu zwischen 2001 und 2004. Erstmals berichtete die «Weltwoche» über einen Brummton, der Süddeutschland verängstigte. Beschrieben wird die Leidensgeschichte eines Ehepaars aus Gäufelden am Rande des Schwarzwaldes. Dabei bezog sich das Schweizer Blatt auf einen Artikel der «Stuttgarter Nachrichten». Das Paar machte fast die gleichen Erfahrungen wie die Tschudiwies-Bewohner: Sie stellten zuerst ihr Haus auf den Kopf, forschten in der Nachbarschaft, beauftragten ein Ingenieurbüro mit akustischen Messungen. Am Schluss wurde das Umwelt- und Verkehrsministerium Baden-Württemberg eingeschaltet. 2002 berichtete das ZDF, dass allein in Deutschland 900 Menschen von dem Ton gequält würden.

Die Ursache blieb auch in Süddeutschland ungeklärt.

Die Ursache blieb auch in Süddeutschland ungeklärt. Es gab jedoch zwei Erkenntnisse: Bei der Frau aus Gäufelden stellte sich heraus, dass sie tiefere Töne vier- bis sechsmal besser hörte als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und das Umweltministerium fand heraus, dass sich auch in anderen Bundesländern, in den USA und in England schon Menschen über den Ton beschwert hatten. «Die Schweiz scheint bisher verschont», schrieb die «Weltwoche».

Ende 2002 erschienen dann auch hierzulande erste Zeitungsberichte. Zuerst aus dem Aargau, dann aus dem Kanton Bern. Ein betroffener Aargauer gründete darauf einen Schweizer Ableger der deutschen «Interessengemeinschaft zur Aufklärung des Brummtons». Doch nach 2004 verschwand das Brummtonphänomen mysteriöserweise wieder aus der Schweizer Öffentlichkeit – und die Website der Schweizer Selbsthilfegruppe ist heute unauffindbar.

Auch Bern und Zürich betroffen

Auf Anfrage beim Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich heisst es: «Es gibt hin und wieder Anfragen zu störenden Brummtongeräuschen, die keiner Quelle zugeordnet werden können und bei denen auch Messungen keine Klärung bringen.» Pro Jahr seien es etwa zwei Anfragen dieser Art.

Etwas näher mit dem Brummton hat sich das Amt für Umweltschutz der Stadt Bern befasst. «Wir sprechen bei diesem Brummen von tieffrequenten Geräuschen. Dabei handelt es sich um Frequenzen, die nicht alle Menschen wahrnehmen oder hören können», sagt Sprecherin Alice Späh. Grundsätzlich seien solche Frequenzen messbar. «Das Problem ist aber, dass die Brummtöne sehr kurzfristig auftreten können und bereits nicht mehr wahrnehmbar sind, wenn die Messgeräte vor Ort sind.» Oder die Geräusche seien von längerer Dauer und gut messbar, könnten aber keiner expliziten Geräuschquelle zugeordnet werden. In Bern seien in den letzten Jahren «ab und zu von verschiedenen Örtlichkeiten» solche Meldungen eingegangen.

Ein medizinisches, psychisches Problem?

Ingrid Jacober hält es für plausibel, dass auch in ihrem Quartier der Brummton mit der besonders guten Hörfähigkeit der Betroffenen zusammenhängt. Als Ursache für das Brummen vermutet sie die zunehmende Technisierung, die ihren Wohnort stark betreffe – «denn vor rund fünf Jahren habe ich es ja noch nicht gehört». Sie reise viel und habe in den vergangenen Jahren an etwa 100 verschiedenen Orten geschlafen, aber das Geräusch nur in ihrem Quartier wahrgenommen. Angesichts der vielen Betroffenen wünscht sich die 48-Jährige, dass die Umweltbehörden über das Phänomen zumindest informieren und dazu Stellung beziehen.

Für Harry Künzle, Leiter des Amts für Umwelt und Energie der Stadt St. Gallen, ist das Phänomen kein akustisches Problem, sondern eher ein medizinisches oder psychisches, allenfalls ein technisches – wenn denn die Ursache gefunden werden könne. «Aus diesem Grund besitzen wir im Amt nicht die erforderliche Fachkompetenz, um dagegen etwas zu unternehmen.»

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