Krimi der WocheEin Tresorknacker will nach Kuba
In «Dammbruch» wütet ein Unwetter in Hamburg, mittendrin trifft ein Einbrecher auf eine Mörderin. Dabei wollte er doch fernab der Sturmflut ein neues Leben beginnen.
Der erste Satz
Betty stand unter der knorrigen Weide am Vogelhüttendeich in Wilhelmsburg und schaute über den Ernst-August-Kanal.
Das Buch
Das «Schietwetter», wie sie in Hamburg sagen, stört Lucius «Lou» Rinke zunächst nicht. Im Gegenteil: dass bei dem stürmischen Dauerregen alle lieber im Trockenen bleiben, könnte hilfreich sein, wenn er in einem Lagerhaus am Hamburger Hafen einen Tresor knackt, denkt er. Bis die Folgen des Wetters ihn nicht nur behindern, sondern bedrohen.
«Dammbruch», der neue Krimi von Robert Brack, Hamburger Autor mit einem Faible für Historisches, spielt in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962. Damals versank ein Teil Hamburgs im Wasser. Vom anhaltenden Regen aufgeweichte Dämme brachen. Mehr als 300 Menschen starben durch die schlimmste Sturmflut in der Geschichte der Stadt.
Der Einbrecher versteht sein Handwerk auch politisch.
Rinke ist vor kurzem aus dem Knast entlassen worden. Mit dem Gold aus dem Tresor will er sich einen Traum erfüllen. «Im Knast, in der Zelle mit den vier Wänden, die sich in manchen Momenten ganz eng zusammenschoben, geriet man aus Selbstschutz ins Träumen. Und das Träumen kannst du dir nicht mehr abgewöhnen, das ist wie mit Alkohol oder Zigaretten, nein schlimmer: wie Opium. Träume, die nicht in Erfüllung gehen, zehren dich aus.»
Rinke will an die Sonne ziehen. Spanien wäre nicht schlecht, würde da nicht Diktator Franco herrschen. Kuba würde ihm gefallen. Denn der Sohn einer Kommunistin und eines Einbrechers versteht sein Handwerk auch politisch: «Es geht ums Prinzip. Eigentum ist Diebstahl. Individueller Reichtum beraubt die Gesellschaft.»
Betty, seine zeitweilige Gefährtin in dieser wilden Nacht, hält das für schönes Gerede: «Du hast ja keine Ahnung! Wenn jemand nämlich kein Eigentumsrecht hat an sich selbst, an seinem Körper und an seinem Geist, an seinen Gefühlen, was dann?»
Nach einer knisternden Begegnung in einer Kneipe treffen sie mitten in der Sturmflut wieder aufeinander.
Während Lou eher den Romantiker gibt, ist Betty knallhart unterwegs. Ihre Familie im Osten wurde im Krieg versehrt. Nun ist sie unterwegs auf einem blutigen Rachefeldzug gegen alte Wehrmachtsoffiziere.
«Dammbruch» ist ein starker Kriminalroman, der sich ganz auf die eine Nacht konzentriert. Robert Brack, ein Vielschreiber, der schon grossartige, aber auch weniger überzeugende Romane vorgelegt hat, bringt in einer kurzen Zeitspanne die Geschichten von Betty und Rinke raffiniert zusammen.
Nach einer knisternden Begegnung in einer Kneipe treffen sie mitten in der Sturmflut wieder aufeinander. Beide auf der Flucht, beide schleppen Beute mit sich. Und dann stösst auch noch ein Polizist, der Betty auf den Fersen ist, zur Schicksalsgemeinschaft, die Sicherheit vor den Fluten sucht. Brack erzählt die dramatische Geschichte virtuos, hält die Spannung hoch. Und dabei bleibt er, wie man es sich von ihm gewohnt ist, immer auch sozialkritisch.
Die Wertung
Originalität: ★★★★☆
Spannung: ★★★★☆
Realismus: ★★★★☆
Humor: ★★★★☆
Gesamteindruck: ★★★★☆
Der Autor
Robert Brack (eigentlich Ronald Gutberlet), geboren 1959 in Fulda, studierte Soziologie in Hamburg und arbeitet seither als freier Journalist, Autor und Übersetzer. 1988 erschienen seine beiden ersten Krimis, «Blauer Mohn» und «Die Spur des Raben», die mit «Die siebte Hölle» eine Trilogie bilden, in der es um ausgewanderte Polen im Westen und das damals kommunistische Land geht. Seither veröffentlicht er in hoher Kadenz Bücher.
Neben Krimis als Robert Brack sind darunter auch ein Dutzend im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert spielende historische Krimis, die er von 1999 bis 2010 unter dem Pseudonym Virginia Doyle veröffentlichte. Ein paar Romane publizierte er zudem unter seinem wirklichen Namen Ronald Gutberlet.
In seinen Kriminalromanen setzt sich Brack immer auch mit historischen und politischen Gegebenheiten auseinander. In «Das Gangsterbüro» (1995; ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi-Preis) geht es beispielsweise um «die Verwerfungen im europäischen Machtgefüge nach dem Fall der Mauer und die Scharmützel von politischen Eliten, Grosskonzernen und Kriegsgewinnlern hinter den Kulissen der Macht».
Als seinen «wichtigsten Roman» bezeichnet Brack «Und das Meer gab seine Toten wieder» (2008). Darin geht es um den als Suizid deklarierten tatsächlichen Tod von zwei Hamburger Polizistinnen im Jahr 1931 auf einer Nordseeinsel, der zur Entlassung ihrer Vorgesetzten und der Auflösung der ganzen Dienststelle führte.
Neben mehr als 30 Kriminalromanen schrieb er als Ronald Gutberlet auch einige Bücher über Hamburg und die Region (zum Beispiel: «Die Reeperbahn: Mädchen, Macker und Moneten», 2000) sowie Kochbücher (zum Beispiel: «Deichlamm, Pinkel, Ochsenbraten: Fleischgerichte aus Norddeutschland», 2001).
Neben seiner eigenen schriftstellerischen und journalistischen Arbeit ist Robert Brack zudem als Übersetzer von Kriminalliteratur aus dem Englischen tätig. Unter vielen anderen übersetzte er etwa Werke von Robert B. Parker, Jerry Oster und Declan Burke.
Robert Brack lebt seit 1981 in Hamburg.
Robert Brack: «Dammbruch». Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2020. 240 S., ca. 18 Fr.
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