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Wahlen in Bolivien
Ein Technokrat will den Sozialismus zurückbringen

Luis Arce, der Kandidat der Linkspartei MAS, im Wahlkampf in El Alto, Bolivien. 
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Er zitiert gerne Marx und Engels, zählt den marxistischen Philosophen Slavoj Zizek zu seinen Fans und taufte seinen Sohn Ernesto, in Anlehnung an Ernesto Che Guevara. Ein Porträt des verstorbenen Revolutionärs hing auch im Büro von Luis Arce, als er unter dem sozialistischen Präsidenten Evo Morales Wirtschaftsminister war.

Jetzt könnte Arce an die Schalthebel der Macht zurückkehren. Er führte in den Umfragen zu den Präsidentschaftswahlen vor seinem Widersacher, dem liberalkonservativen Carlos Mesa. Vielleicht reicht es Arce gar zu einem Sieg im ersten Wahlgang am Sonntag.

Evo Morales’ Zauberformel

Der Kandidat der Linkspartei MAS ist der Ziehsohn von Evo Morales, der von den Wahlen ausgeschlossen ist, aus dem Exil in Argentinien aber weiter die Strippen zieht. Arces Kandidatur trägt klar Morales’ Handschrift: der 57-jährige Ökonom, ein Vertreter der weissen Oberschicht, und sein Vize, David Choquehuanca, ein Indigener: Das ist dieselbe Formel, mit der Morales und sein Vize Alvaro Garcia Linera mehrere Wahlen gewonnen hatten.

Luis Arce neben seinem Ziehvater Evo Morales.

Doch Arce hat nicht das Charisma von Evo Morales. Der studierte Ökonom spricht leise, mit einer feinen Stimme. Auf den grossen Tribünen, in denen er im Wahlkampf zu seinen Anhängern spricht, wirkt er verloren. Lieber referiert er in langen Interviews über Wirtschaftspolitik. Rein äusserlich stellt er den maximalen Kontrast her zu Evo Morales, der mit seinen indianischen Kleidern, den antiamerikanischen Parolen und seinem Einsatz für die Urvölker die Linke in Bolivien anführt – und auch im Westen viele begeistert.

Das Charisma fehlt

Arce gilt als Architekt des bolivianischen Wirtschaftswunders. Als Wirtschaftsminister zwischen 2006 und 2019 verstaatlichte er den Energiesektor, die Öl- und Erdgasvorkommen und setzte eine konsequente Umverteilungspolitik durch. Die Wirtschaft wuchs im Schnitt um fünf Prozent jährlich, die Ungleichheit wurde reduziert, die Armut schrumpfte. Die indigene Unterschicht erlebte einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg. Er profitierte aber auch von den hohen Weltmarktpreisen für Erdgas, Edel­metalle und Agrarprodukte.

An diese erfolgreiche Zeit möchte Arce jetzt anknüpfen. Im Wahlkampf warb er für eine Reichensteuer und die lokale Massenproduktion von Elektroautos mit Batterien aus Lithium, das im Land gewonnen wird.

Das Chaos herrscht

Allerdings herrscht in Bolivien seit dem vergangenen Oktober ein politisches Chaos. Bei den letzten Wahlen beugte Morales zuerst die Verfassung, um sich für eine vierte Amtszeit wählen zu lassen. Beim Wahlgang selber kam es zu Unregelmässigkeiten. Proteste brachen aus, Morales ging ins Exil nach Mexiko, siedelte später nach Argentinien über. Eine rechtsreligiöse Interimsregierung unter Jeanine Áñez hat seither die Macht übernommen.

Bibel statt Che Guevara: Jeanine Áñez, Übergangspräsidentin Boliviens. 

Áñez wollte zurück zum liberalen Konservativismus früherer Jahre. Sie liess die Che-Guevara-Porträts entfernen, legte dafür im Präsidentenpalast neu die Bibel auf. Den Wahltermin liess sie wegen der Pandemie mehrmals verschieben, was ihr von der Opposition vorgehalten wird.

Der Klassenhass frisst sich durch das Land

Die beiden Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstössen und Demonstrationen beider Seiten. Der Klassenhass frisst sich durch die Gesellschaft: Die weisse Mittel- und Oberschicht steht der indigenen Unterschicht gegenüber.

Luis Arce müsste bei seiner Wahl als Versöhner agieren. Dem besonnenen Technokraten wäre dies eigentlich zuzutrauen. Doch mit seinem Sieg würde auch der Mann zurückkehren, der das Land ins Chaos gestürzt hat. «Am nächsten Tag» würde er bei einem Wahlsieg seines Kandidaten ins Flugzeug steigen und nach Bolivien fliegen, sagte Evo Morales. Spätestens dann müsste Arce beweisen, dass er dem Schatten seines Ziehvaters entfliehen kann.