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Ein Tag im Leben eines Innendekorateurs
«Die Kinder stolpern fast übereinander, weil sie so fasziniert sind»

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Ich bringe den Kunden gewissermassen etwas von meiner Persönlichkeit nach Hause. Daher ist mir das Beratungsgespräch wichtig. Ich baue eine Beziehung auf, und oft besuche ich meine Kunden auch zu Hause. Anhand eines Daheims kann ich ein bisschen einschätzen, wie ein Mensch ist, und kann herausspüren, welche Farben und Materialien gut ankommen. Man muss etwas Feingefühl entwickeln, damit die Möbel am Schluss nicht fehlplatziert oder verloren wirken.

Nach dem Aufwachen dusche ich, mache die Toilette und esse im Sommer ein Müesli mit frischen Beeren; im Winter darf es auch mal ein Konfibrot sein. Sehr schnell bin ich dann im Atelier in Zürich-Wiedikon neben meiner Wohnung. Ich mache nochmals Kaffee und schaue, was gerade ansteht. An den Vormittagen habe ich zu, da ich oft Möbel hin- und hertransportiere, Stoffe oder Werkzeuge besorge oder auswärts ein Sofa repariere.

Innendekorateur habe ich als Zweitlehre gemacht, zuerst habe ich Sanitärzeichner gelernt. Das fand ich aber zu trocken: Am Morgen kommen und Compi schwarz, am Abend gehen und Compi schwarz. Es macht mir viel mehr Spass, wenn etwas entsteht. Du siehst jeden Tag die Fortschritte bei der Arbeit. Am meisten interessierte mich das Polstern, deshalb habe ich mich darauf spezialisiert. Nach ein paar Jahren als Angestellter wollte ich mein eigener Chef sein.

Körperlich anstrengende Tätigkeiten wie das Spannen einer Federschnürung erledige ich am liebsten am Morgen. Nach dem Mittag öffne ich das Atelier. Viele Laufkunden aus dem Quartier bringen zuerst ein Foto des Möbelstücks. Zum Beispiel von einem Sessel aus dem Brockenhaus oder von den Grosseltern, der einen neuen Überzug braucht. Wenn ich die Polsterung ersetzen muss und das alte Rosshaar, die Kokosfasern oder das Seegras auseinandernehme, schütze ich mich mit einer Maske vor dem Staub.

Oft bleiben Passanten stehen und schauen mir durch das Schaufenster zu. Das merke ich meist gar nicht mehr. Herzig sind die Kinder der Kinderkrippe von nebenan: Wenn sie vorbeigehen, schauen manchmal alle zu mir herüber und stolpern fast übereinander, weil sie so fasziniert sind. In meinen Pausen sitze ich gerne auf der Treppe vor dem Atelier, rauche eine und rede mit den Leuten, die jeden Tag ihre Kinder von der Schule abholen oder sie hinbringen. Das ist ein schöner Austausch.

Ich lege viel Wert auf Nachhaltigkeit und verarbeite am liebsten nachwachsende Produkte wie Rosshaar, zertifizierte Stoffe oder Leder. Das ist extrem schönes und lebendiges Material und braucht wie unsere Haut etwas Pflege. Eine Kollegin hat mir eine hundertfünfzig Jahre alte wunderschöne Schuhnähmaschine mit Handkurbel geliehen. Mit der kann ich die Lederkanten bei Möbeln schön abnähen. In der Innendekoration ist veganes Leder auf Pilzbasis langsam am Kommen.

Abends setze ich mich gerne mit einem Feierabendbier auf die Treppe vor dem Laden, um mit meinen Ateliernachbarn – eine Schneiderin und ein Schneider – zu quatschen. Ab und zu gehen wir auch in die Beiz um die Ecke. Die Zeiten mit Ausgang und big party sind eher vorbei. Ich bin ruhiger geworden und gehe lieber mit Freunden essen oder gemütlich etwas trinken. Am meisten Spass macht es mir, zu Hause in der Küche zu stehen und richtig zu kochen.

Danach hänge ich gerne etwas vor dem Fernseher ab, auf meiner selbst gepolsterten Couch. Oder ich setze mich zum Lesen auf einen meiner zwei Barcelona-Chairs. Mit ihnen habe ich mir einen Traum erfüllt, als ich die leeren Originalgestelle aus den Dreissigerjahren kaufte: Einen bezog ich mit petrolgrünem Samt, den andern mit schwarzem Leder. Im Keller wartet auch noch ein zerlegtes Louis-Philippe-Sofa. Irgendwann werde ich einen modernen, kubischen Holzrahmen dafür bauen.

Protokoll: Susanne Wagner