Vom Dorfschullehrer zum StaatschefEin Präsident in Ausbildung bringt Peru zur Verzweiflung
Pedro Castillo hat gerade seine vierte Regierung in einem halben Jahr vereidigt, manche Minister bleiben jeweils nur ein paar Tage. Und das Land versinkt immer tiefer in der Krise.
Immerhin ist da dieser Hut, geflochten aus hellem Stroh, breite Krempe, hohe Krone: So trägt man ihn in Cajamarca, der Heimatregion von Pedro Castillo ganz im Norden von Peru. Schon während des Wahlkampfs zeigte sich Perus Präsident stets mit seinem Sombrero, selbst zur Vereidigung im Juli trug er ihn, genauso später dann im Parlament oder bei Staatsbesuchen.
Würde man es gut meinen mit Pedro Castillo, könnte man sagen, die Kopfbedeckung sei nun mal sein Markenzeichen. Weniger Wohlwollende dagegen sehen in der Kopfbedeckung etwas anderes: kein modisches Accessoire, sondern eine der wenigen Konstanten in der Regierungszeit von Castillo.
Die Minister kommen und gehen
Erst seit gut einem halben Jahr ist der 52-Jährige im Amt, dennoch gab es schon dreimal Wechsel auf dem Posten des Kabinettschefs, in Peru auch Premierminister genannt. Dazu kommen vier verschiedene Aussenminister, drei Umwelt- und zwei Arbeitsminister. Kaum ein Ressort, in dem das Personal gleichgeblieben ist.
Manchmal gab es Rücktritte, weil Mitglieder von Castillos Kabinett die eigene Regierung für unfähig hielten. Oft mussten Minister aber auch nach Skandalen gehen, weil sie mitten im Lockdown Partys gefeiert oder alten Bekannten bei deren Karrieren geholfen hatten. Jüngst musste ein eben erst ernannter Premierminister nach drei Tagen wieder seinen Posten räumen, weil Anschuldigungen wegen häuslicher Gewalt öffentlich geworden waren.
Längst gibt es Forderungen nach Konsequenzen: «Präsident Castillo ist seiner Aufgabe nicht gewachsen», schrieb diese Woche «El Comercio», eine von Perus grössten Zeitungen. «Es ist an der Zeit, dass der Präsident den Rücktritt erwägt.» Spätestens hier stellt sich dann die Frage: Wie konnte es so weit kommen?
Zum einen ist da die Wirtschaft: Oberflächlich betrachtet, ist Peru einer der am stärksten prosperierenden Staaten der gesamten Region. Das Land hat riesige Silber- und Goldvorkommen, vor den Küsten schwimmen Schwärme glitzernder Fische, unter dem Boden des Regenwalds schlummern Öl und Gas. Die Wirtschaft boomt. Doch der Reichtum kommt nicht bei allen an.
Viele Peruaner sind heute zwar nicht mehr bettelarm, ihr Leben aber ist dennoch prekär. Drei Viertel der Arbeitnehmer ist im sogenannten informellen Sektor beschäftigt: als Strassenverkäufer, Putzkraft oder Kellner, ohne Arbeitsvertrag, Sozialversicherung oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Als die Corona-Pandemie kam, konnten es sich viele einfach nicht leisten, zu Hause zu bleiben, trotz strenger Vorschriften. Kaum irgendwo auf der Welt gab es darum umgerechnet auf die Bevölkerungsgrösse so viele Covid-Tote wie in Peru.
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Zur angespannten sozialen Situation kommt dann aber auch noch eine politische Krise, die das Land seit Jahrzehnten immer weiter destabilisiert.
Um sie zu verstehen, muss man weit zurückgehen in der Geschichte des Landes: Nachdem die Spanier Peru erobert hatten, gründeten sie mehrere Städte, die vor allem an der Küste lagen. Das Landesinnere blieb dagegen indigen geprägt und trotz seiner Bodenschätze bitterarm. So ist das im Prinzip bis heute geblieben: Die Elite wohnt in Lima, hier bündelt sich die wirtschaftliche und politische Macht. Im Andenhochland und Amazonastiefland dagegen leben viele Menschen in bitterer Armut.
Immer wieder gab es Bestrebungen, diesen Graben zu schliessen, mit Landreformen oder Enteignungen. In den 80er-Jahren versuchte dann die marxistisch-maoistische Guerillaorganisation Leuchtender Pfad den völligen Umsturz der Gesellschaftsordnung durch einen Volkskrieg. Peru versank in Terror und Gewalt, ein autoritärer Präsident riss die Macht an sich, Alberto Fujimori; erst nach der Jahrtausendwende kehrte langsam wieder Ruhe ein. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt, dafür aber neue Probleme hinzugekommen.
Gleich mehreren Ex-Präsidenten wird Bestechung im ganz grossen Stil vorgeworfen.
Einmal ist da die Korruption: Gleich mehreren Ex-Präsidenten wird Bestechung im ganz grossen Stil vorgeworfen. Einer versuchte, sich in die USA abzusetzen, ein anderer entzog sich seiner Festnahme durch Suizid. Die Vetternwirtschaft und Schmiergeldkultur zieht sich durch fast alle Parteien und Ebenen.
Das wiederum hat zu einem schweren Vertrauensverlust geführt, die peruanische Politiklandschaft steckt in einer tiefen Krise, bei den letzten Wahlen 2021 traten mehr als 20 Kandidatinnen und Kandidaten an, darunter eine linke Psychologin und ein rechter Populist, ein ehemaliger Fussballspieler von Borussia Dortmund – und dann ist da auch noch Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Potentaten Alberto Fujimori.
Sie ist längst zu einer wichtigen politischen Kraft geworden. Trotz Korruptionsvorwürfen und Skandalen schafft sie es bei Abstimmungen immer wieder in die Stichwahl. Dort tritt sie dann gegen Mitbewerber an, die in der ersten Runde kaum mehr oder sogar weniger Stimmen hatten als sie. Weil aber viele Peruaner um jeden Preis verhindern wollen, dass Fujimori in den Präsidentenpalast einzieht, geben sie dem Gegenkandidaten die Stimme – egal, wer das ist.
Im Fall von Pedro Castillo hatten viele einen Sieg für so unwahrscheinlich gehalten, dass mancher Pressedienst nicht einmal ein Foto von ihm parat hatte. Nun muss der ehemalige Dorfschullehrer und Gewerkschafter sich gegen alte Eliten und eine gnadenlose Opposition durchsetzen. Dafür braucht er politische Unterstützer. Die wollen aber bei Laune gehalten werden, mit Zugeständnissen oder eben Posten.
Pedro Castillo beklagt, es gebe Putschpläne gegen ihn. Seine Probleme erklärt er mit seiner angeblichen Unerfahrenheit: «Die Präsidentschaft ist für mich bis jetzt ein Lernprozess», sagte er in einem Fernsehinterview. Diese Woche hat er nun sein viertes Kabinett vereidigt. Mal sehen, wie lange es hält: Es gibt schon wieder die ersten Skandale.
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