Skurriler Literaturwettbewerb«Hugo Chávez ist die Schwebebahn»
Ein Institut mit seltsamem Namen veranstaltet einen seltsamen Wettbewerb: Wer gesteht dem verstorbenen Präsidenten Venezuelas am ergreifendsten Liebe und Bewunderung?
In Südamerika kümmert sich eine Institution um das altehrwürdige literarische Genre des Liebesbriefes. Sie heisst «Instituto de altos estudios del pensamiento del comandante eterno Hugo Rafael Chávez Frías», zu Deutsch: Institut für hohe Studien des Denkens des ewigen Kommandanten Hugo Rafael Chávez Frías. Nein, das ist keine Satire, die Einrichtung gibt es wirklich.
Gegründet hat sie die venezolanische Regierung 2013, wenige Monate nachdem der venezolanische Präsident und Begründer der «bolivarianischen Revolution» einem Krebsleiden erlegen war. Damit beim Erforschen des Chavismus keine Fehler passieren, leitet jemand das Institut, der das Denken des Grossen Hugo schon von klein auf miterleben durfte, nämlich sein um ein Jahr älterer Bruder Adán Chávez.
Das Institut für hohe Studien des… ähm – nennen wir es doch einfach Chávez-Institut. Also, das Chávez-Institut hat einen Literaturwettbewerb ausgeschrieben mit dem Titel: «Liebesbriefe an Hugo». Abgabetermin ist der 28. August. Der Wettbewerb ist international, es dürfen also auch Nicht-Venezolaner teilnehmen.
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Das ist ein riskantes Unterfangen. Denn ein Liebesbrief ist stets bedroht von Kitsch und Peinlichkeit, aber er kann auch anrührend, authentisch und erhellend sein, indem er ein Licht wirft auf seinen Absender, seinen Empfänger oder die Zeit, in der er verfasst wurde.
Den Liebesbrief als literarisches Genre gab es schon in der Antike, und im Grunde besteht der mittelalterliche Minnesang aus formalisierten Liebesbriefen. Heute gibt es Textagenturen, die einem die Mühen des Liebesbriefschreibens gegen Bezahlung abnehmen. «Die Kunst, Küsse zu schreiben», lautet der schöne Titel eines Buchs, in dem der deutsche Literaturwissenschaftler Dieter Hildebrandt die Geschichte des Liebesbriefs erzählt.
Wie in Nordkorea
Aber taugt Hugo Chávez als Empfänger eines Liebesbriefs? Zunächst einmal sind die formalen Vorgaben, die das Chávez-Institut den Teilnehmern des Wettbewerbs macht, nicht besonders romantisch: Die Länge, die Schrift, der Zeilenabstand und die Grösse des beidseitigen Randes sind vorgegeben, das «Werk» muss einen Namen und einen Titel in Grossbuchstaben tragen (was genau ist der Unterschied?), der Verfasser muss ein Pseudonym wählen und die Nummer seiner Identitätskarte angeben.
Fraglich ist, wie verheissungsvoll der erste Preis wirkt: eine Büchersammlung des Chávez-Instituts.
Hugo Chávez war ein charismatischer, witziger Redner. Er war ein Mann aus dem Volk, der sich in einer einfachen, unverblümten Sprache an seine Anhänger wandte. Sein grosses Glück war, dass der Erdölpreis während seiner Regierungszeit explodierte. Deshalb hatte er viel Geld zur Verfügung, das er teilweise für Sozialwerke ausgab. Bis zu seinem Tod war er bei den Armen populär.
Aber je länger er an der Macht war, desto autoritärer wurde er. Er hat die demokratischen Institutionen ausgehöhlt, die Wirtschaft durch willkürliche Enteignungen geschwächt und die staatliche Erdölindustrie untergraben, indem er unfähigen, korrupten Gefolgsleuten lukrative Pöstchen zuhielt. Er hat die Lunte zur venezolanischen Katastrophe gelegt und angesteckt. Letztlich ist er dafür verantwortlich, dass Venezuela heute eine Diktatur ist und als gescheiterter Staat zu enden droht.
Was seinem Andenken zugutekommt, ist, dass sein Nachfolger Nicolás Maduro neben ihm wirkt wie eine Karikatur.
Man darf Liebesbriefe schreiben, an wen man will, selbst an einen Verstorbenen, selbst an Hugo Chávez. Aber das Chávez-Institut missbraucht das Genre, um in einem Land, in dem fast 80 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut leben, an bessere Zeiten zu erinnern. Dazu betreibt es einen absurden, rückwärtsgewandten Personenkult. Das erinnert in seiner Lächerlichkeit an Nordkorea.
Vielleicht lassen sich die Teilnehmer des Wettbewerbs ja von Nicolás Maduro inspirieren, der nach Chávez' Tod allen Ernstes sagte: «Chávez ist hier unter uns. Chávez ist die Schwebebahn, Chávez ist die grosse Mission, Chávez ist das Kind, die Frau, der Mann. Wir alle sind Chávez.»
Ein Sujet für Satire ist das nur noch für Ausländer. Den Einheimischen ist das Lachen längst vergangen.
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