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Im Gedenken an Paul Celan
Ein Leben, immer nahe am Untergang

Vor 100 Jahren in Czernowitz geboren, nahm sich Paul Celan am 20. April vor 50 Jahren in Paris das Leben. 
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Es ist sehr kalt, dieses Ostern vor 50 Jahren. Paul Celan liest im badischen Freiburg aus seinem Werk. Man kennt ihn als «Dichter der Schoah». In der kleinen Runde anwesend ist auch Martin Heidegger. Dass der Philosoph in den Nationalsozialismus verstrickt war, ist bekannt. Gleichwohl sucht Celan wiederholt das Gespräch. 1967, nach einem Selbstmordversuch, nimmt er die Einladung Heideggers in dessen Hütte in Todtnauberg (Südschwarzwald) an.

Er hofft auf tieferes Verständnis. Celan schreibt ins Hüttenbuch, er habe die Hoffnung «auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen». Von Heidegger kommen freundliche Worte, aber keines zu dem, was den Lyriker zutiefst bewegt: die Ermordung des jüdischen Volks, darunter auch Celans Eltern.

An diesen weissen Ostern 1970 stellt Heidegger nur bedauernd fest: «Celan ist krank – heillos.» Celan reist heim nach Paris. In der Nacht auf den 20. April bringt er sich um. Die Seine nimmt ihn auf: «Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts...» heisst es in seinem Gedicht «Todesfuge».

Die Sehnsucht, verstanden zu werden

Paul Celan, geboren vor 100 Jahren in Czernowitz, damals Rumänien, starb vor 50 Jahren in Paris. In der Hälfte des Lebens, mit 24 Jahren, schrieb er die «Todesfuge». Sie sollte ihn berühmt machen und Schullektüre werden. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Im jüngst erschienenen Buch «Todesfuge – Biografie eines Gedichts» schildert der Literaturwissenschaftler Thomas Sparr den Lebens-, Schaffens- und Leidensweg von Celan. Die «Todesfuge» ist dabei Mark- und Gedenkstein.

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken

Aus der «Todesfuge»

Der Celan-Forschung substanziell Neues fügt Sparr nicht hinzu. Anderes zählt. Seine innere Verbundenheit mit der jüdischen Kultur auf der Basis exzellenter Kenntnisse. Sparr masst sich nicht an, eine endgültige Interpretation der «Todesfuge» liefern zu können. Er hört ihrem Verschweigen zu. Es vibriert in Celans rätselhafter Lyrik eine unermessliche Sehnsucht, verstanden zu werden, und unermesslich gross war seine Enttäuschung, wenn er kein Verständnis fand. Deshalb vielleicht ist Thomas Sparr im Zweifelsfall auf der Seite von Celan.

Auf Celans Seite zu stehen, das heisst: den nachgeborenen Lesern zu verdeutlichen, dass Celans Lyrik vom Tod her kam. Die Stationen und Episoden des Buchs führen immer wieder auf den Naziterror zurück und auf die Verdrängungsgeschichte nach 1945. Auf Celans Seite zu sein, bedeutet auch, seine Gedichte nicht nur ästhetisch, sondern auch historisch und politisch zu lesen.


Die «Todesfuge», ums Jahr 1944/45 geschrieben, erschien 1947 zuerst auf Rumänisch unter dem Titel «Todestango». Celan trug damals noch seinen Geburtsnamen Paul Antschel. Sein Vater war 1942 im SS-Arbeitslager an Typhus gestorben, die Mutter erschossen oder erschlagen worden. Wie genau er unterrichtet war über die Vernichtungslager, ist kaum rekonstruierbar. Sicher ist, dass bei den Erschiessungen oft Tanzmusik aus Lautsprechern erklang, um die Gewehrsalven zu übertönen.

Sicher ist, dass die von vielen als mystisch empfundene «Todesfuge» einen realistischen Kern hat. Da sind die Juden, die sich ihr Grab selber schaufeln müssen. Da ist das «Grab in den Lüften», in dem man nicht so eng liegen muss wie im Massengrab. Da ist der Mörder mit seinen Hunden, «er pfeift seine Rüden herbei». Und immer der Befehl, «spielt auf nun zum Tanz». Da steht mithin alles, was in der Nachkriegszeit leicht zu entziffern war als Judenvernichtung. Wenn man wollte.

Vortragsweise sorgte für Lacher

Die Gruppe 47 wollte es wohl nicht. Die Gruppe 47 war ein Schriftstellertreffen, organisiert 1947 bis 1967 von Hans Werner Richter. Im Mai 1952 war auch Paul Celan dabei, auf Einladung seiner Freundin Ingeborg Bachmann. Sein Auftritt wird bis heute kontrovers diskutiert. Celan las seine Gedichte vor.

Wegen seiner pathetischen Vortragsweise soll es zu Lachern gekommen sein. Hans Werner Richter fühlte sich «an die Stimme von Joseph Goebbels erinnert». Celan war tief getroffen. Andererseits freute er sich über die wohlwollenden Kollegen in der Gruppe 47; beim Wettstreit um den Literaturpreis kam er sogar auf den dritten Platz.

Im Rückblick zeigt der Literaturkritiker Helmut Böttiger heute Verständnis für die Gruppe 47. Celan wurde bekannt. Thomas Sparr hingegen bleibt eisern: «Der erste öffentliche Auftritt Celans in Deutschland besiegelte das Schicksal der Rezeption der ‹Todesfuge›: das Verlachen, Nichtachten, Verkennen.»

Politische Wirkungsgeschichte

Auf Celans Seite zu sein, das heisst bei Sparr, die politische Dimension der Wirkungsgeschichte zu veranschaulichen; in Frankreich, in den USA, in Israel, in der DDR, in Westdeutschland. Ein Beispiel für viele: Paul Celan übertrug Alain Renais’ Film «Nacht und Nebel» ins Deutsche. Es war der erste Dokumentarfilm über deutsche Vernichtungslager. Auf Betreiben des deutschen Botschafters wurde der Film 1956 in Cannes vom Wettbewerb ausgeschlossen. Auf Anfrage einer SPD-Politikerin gibt ein Staatssekretär den Einfluss der Adenauer-Regierung zu: Man habe befürchtet, dass der KZ-Film «den Hass gegen das deutsche Volk in seiner Gesamtheit» wieder beleben würde.

Er ruft spielt süsser den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Aus der «Todesfuge»

1960 erhält Paul Celan den Büchnerpreis. Zur gleichen Zeit flammt der Antisemitismus erneut auf. Und es kommt zur Goll-Affäre. Die Witwe des Dichters Yvan Goll behauptet, Celan habe Bilder und Motive von ihrem Mann übernommen. Die anschliessende Kampagne trifft Celan schwer. Freunde unterstützen ihn allenfalls halbherzig, Ingeborg Bachmann beschwichtigt, Max Frisch weicht aus. In ihrem Buch «Die Goll-Affäre» (2000) hat Barbara Wiedemann den Skandal auf 900 Seiten aufgearbeitet. Mehr lässt sich zur Entlastung von Paul Celan nicht sagen.

Anfang 1970 wird Celan erneut des Plagiats verdächtigt. Eine Literaturzeitschrift veröffentlicht das Gedicht «ER» seines Schulfreunds Immanuel Weissglas. Die «Todesfuge» von 1944/45 und das Weissglas-Gedicht, auf 1944 datiert, ähneln sich «frappierend», wie Sparr zugibt. War die Konfrontation mit dem Weissglas-Gedicht Ursache für den Freitod im April 1970? Sparr weist alle Spekulationen zurück. Wer auf der Seite von Paul Celan steht, der kennt die «schier ununterbrochene Untergangsnähe» seines Lebens.