Bancomatenbomber vor Gericht Ein Knall – dann fliehen die Täter mit 126'000 Franken im Renault
Hat der Angeklagte mit einem Komplizen einen Automaten in Sevelen SG gesprengt? Morgen startet der erste Prozess um Schweizer Bancomaten-Detonationen.

In den frühen Morgenstunden am 12. Dezember 2019 machen sich zwei Rumänen am Raiffeisen-Bancomaten an der Bahnhofstrasse in Sevelen SG zu schaffen. Sie setzen eine selbst gemachte, etwa 12 Zentimeter breite Sprengladung an den in der Wand eingebauten Automaten an. Wirkstoff: Triacetontriperoxid, kurz TATP, ein hochexplosiver und bei Terroristen beliebter Sprengstoff.
Um 1.33 Uhr knallt es. Im Gebäude an der Bahnhofstrasse bersten die Fenster, Teile der Decke fallen herunter. Die Bedienkonsole des Bancomaten sowie Teile der anliegenden Wand werden aufs Trottoir und auf die Strasse geschleudert.
Der Bancomat selbst ist stark beschädigt. Den Tresor können die Rumänen zwar nicht aufsprengen, weil er aber so stark deformiert ist, kommen sie an die 200-Franken-Scheine. Sie bedienen sich und stehlen 633 davon – insgesamt 126’600 Franken. Es ist der bisher höchste bekannt gewordene erbeutete Betrag nach einer Sprengung.
Die Diebe flüchten in einem Renault Koleos mit rumänischem Kontrollschild. So steht es in der nun veröffentlichten Anklageschrift der Bundesanwaltschaft.
Im Oktober hat diese mitgeteilt, dass sie gegen einen 31-jährigen Rumänen Anklage erhebt. Es ist die erste Schweizer Anklage überhaupt gegen einen Bancomatenbomber und einer der wenigen Fälle, in denen die mutmasslichen Täter überführt werden konnten.
Dank DNA-Spuren überführt
Möglich war das, weil Ermittlerinnen am Tatort in Sevelen zwei Brecheisen mit DNA-Spuren fanden, die mit der DNA der beiden mutmasslichen Täter übereinstimmten. Dieselben Spuren fand die Polizei bei einer weiteren Sprengung in Neftenbach ZH nur wenige Tage nach der Tat in Sevelen.
Es dauert ein halbes Jahr, bis die Polizei sie fassen kann. Im Juni 2020 wird der 31-jährige Rumäne in Österreich verhaftet und kurz darauf an die Schweiz ausgeliefert. Der besagte Renault wird später am Wohnort des mutmasslichen Täters in Vorarlberg gefunden, weniger als 30 Autominuten von Sevelen entfernt. Der 43-jährige Komplize wird in Dänemark verhaftet.
Ein «Zufall», dass niemand zu Schaden kam
Am Mittwoch muss der Rumäne vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona erscheinen. Er befindet sich seit diesem Juni im vorzeitigen Strafvollzug in der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies.
Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, wirft ihm die Bundesanwaltschaft unter anderem «Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht», qualifizierten Diebstahl sowie qualifizierte Sachbeschädigung vor.
Der gesprengte Bancomat in Sevelen war gemäss Anklageschrift an einem mehrstöckigen Wohn- und Geschäftshauses montiert. In den betroffenen 16 Wohnungen seien rund 30 Bewohnerinnen und Bewohner durch die Explosion «an Leib und Leben konkret gefährdet worden»: Sie hätten von herumgeschleuderten Gebäudeteilen getroffen oder durch eine mögliche Verschiebung der Gebäudestatik stürzen und sich schwer verletzen können. Weil sie zum Zeitpunkt der Detonation geschlafen hätten, seien sie «schutzlos» gewesen und hätten nicht reagieren können. Es sei «Zufall gewesen», schreibt die Bundesanwaltschaft, dass keine Menschen zu Schaden gekommen seien.
Der Sachschaden hingegen war immens: 40’000 Franken Schaden am Gebäude, 60’000 Franken am Bancomaten. Die Raiffeisenbank und die Gebäudeversicherung des betroffenen Hauseigentümers treten am Prozess als Privatklägerinnen auf.
Die Anträge der Bundesanwaltschaft sind noch nicht bekannt und werden erst an der Verhandlung gestellt. Der Verteidiger äussert sich auf Anfrage nicht zum Fall. Für die Verhandlung sind zwei Tage vorgesehen.
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