Kommentar zum Taiwan-China-KonfliktEin Arbeiter, wie ihn Peking hasst
Lai Ching-te könnte nächstes Jahr Präsident von Taiwan werden. Chinas Führung demonstriert bereits, was sie von ihm hält.

Eine Sache nimmt Lai Ching-te (63) schon einmal vorweg: Taiwan sei bereits eine souveräne und unabhängige Nation, deshalb müsse das Land auch nicht erst seine Unabhängigkeit von China erklären. Bisher war der Vizepräsident Taiwans vor allem für den einen Satz bekannt: Er sei «politischer Arbeiter für die taiwanesische Unabhängigkeit», eine Aussage von 2017. Seither gilt er als «tiefgrün» in Taiwan, eine Umschreibung für eine eher radikale Haltung in dieser Frage.
Vor ein paar Tagen wurde er mit grosser Mehrheit zum Vorsitzenden der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) gewählt. Damit hat er beste Chancen, Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 zu werden. Das höchste Amt ist in Taiwan auf zwei Legislaturperioden beschränkt, Präsidentin Tsai Ing-wen wird deshalb nicht mehr antreten. Lais Kandidatur wäre nicht unumstritten. Durch seine bisherige Haltung zur Unabhängigkeit ist er in Peking eine Reizfigur.
China droht mit Härte
Die Führung dort wirft ihm vor, Kollaborateur der USA zu sein, der Schutzmacht des kleinen Inselstaats. Seit die Fortschrittspartei unter Führung von Tsai 2016 an die Macht kam, haben sich die Beziehungen zum chinesischen Festland stetig verschlechtert – offiziell unterhalten beide Seiten keinen Kontakt mehr. Die DPP steht für einen kritischeren Kurs gegenüber China, eine Vereinigung lehnt sie wie die meisten der 24 Millionen Taiwaner ab.
Peking droht mit zunehmender Härte, fast täglich schickt das Regime inzwischen Flugzeuge los, die in die Luftraumüberwachungszone des Inselstaats eindringen. Die permanenten Drohgebärden sollen die taiwanischen Streitkräfte erschöpfen. Peking scheint zu hoffen, dass die Menschen aus Angst einer Vereinigung zustimmen. Doch bisher verteidigen sich die Taiwaner beständig, wehren zum Beispiel Cyberattacken ab. In den kommenden Monaten rechnen Beobachter auch mit neuer Wahleinmischung, wie man sie aus früheren Wahlen kennt.
Die Ansprüche Pekings haben längst zu einem Konflikt an der Grenze zu einem Krieg geführt.
Die Ansprüche Pekings haben längst zu einem Konflikt an der Grenze zu einem Krieg geführt. In Taiwan fürchtet man sich vor einer militärischen Eskalation, wie sie Peking viele Male angedroht hat, sollte Taiwan sich auch de jure für unabhängig erklären (und nicht bloss die De-facto-Praxis fortsetzen). Folglich muss Lai moderater agieren, auch um andere Partner im Ausland nicht zu verschrecken.
Inzwischen sagt er, dass mit all seinen Vorstössen zur Unabhängigkeit lediglich gemeint gewesen sei, dass Taiwan kein Teil Chinas sei – eine Haltung, die auch Amtsinhaberin Tsai vertritt.
Er gilt als integer
Lai Ching-te, auch William Lai genannt, ist ausgebildeter Internist, unter anderem in Harvard, zwischen 2010 und 2017 war er Bürgermeister der Stadt Tainan an der Südwestküste, wo die meisten seiner Unterstützer leben. Später stieg er zum Ministerpräsidenten und Stellvertreter von Tsai auf. Er pflegt gute Beziehungen nach Japan, nach der Ermordung des früheren Premiers Shinzo Abe besuchte Lai dessen Familie. Er gilt als charismatisch und integer, mehrmals wurde er für seine Arbeit als Abgeordneter ausgezeichnet.
Die Präsidentschaftswahlen 2024 dürften erneut zu einem Referendum über die Frage werden, welche Nähe sich die Taiwaner zu China noch wünschen. 2019 drohte Parteichef Xi Jinping, die Insel auch gewaltsam einzunehmen; dies galt als ein Grund für Tsais Wahlsieg im Januar 2020, trotz ihrer durchwachsenen innenpolitischen Bilanz. «Mit der Bedrohung durch China konfrontiert, sind wir auf der neuen Mission, Taiwan zu schützen und für seine Demokratie zu werben», sagte Lai nach seiner Wahl zum Vorsitzenden. «Frieden ist etwas, das sich alle erhoffen.»
Peking antwortete, indem es vier Schiffe und 27 Kampfflieger in Richtung Taiwan sandte.
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