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Meinung

Affäre um Sebastian Kurz
Ein Alarmzeichen über Österreich hinaus

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte schon bessere Tage.  
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Vielleicht kennen wir unsere Nachbarn einfach nicht gut genug. O. k., dass man in Österreich der Freunderlwirtschaft nicht abgeneigt ist, das war uns bekannt. Aber Österreich, eine Bananenrepublik? Gut, nach dem Skandal um das Ibiza-Video hätten wir vorgewarnt sein können. Der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache versprach 2017 einer vermeintlichen russischen Oligarchentochter Zugriff auf Staatseigentum und auf die grösste Boulevardzeitung des Landes. Aber während der rechtspopulistische FPÖ-Politiker schwadronierte, sind Sebastian Kurz und sein Umfeld mutmasslich zur Tat geschritten.

Wenn die Vorwürfe stimmen, hat sich der Studienabbrecher den Aufstieg vom Jungpolitiker an die Spitze seiner konservativen Volkspartei und ins Kanzleramt mit manipulierten Umfragen, gekaufter Berichterstattung und Postenschacherei geebnet. Und im Kanzleramt angekommen, sollte das System Kurz den Machterhalt auf alle Zeiten sicherstellen. Er gab sich gerne als Modernisierer, hat aber offenbar Filz und Korruption auf höchster Ebene perfektioniert. Er kämpfte gegen das «Establishment» und etablierte seine Spezies an den Schaltstellen. Es wird für Sebastian Kurz schwierig sein, diesmal den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Zu deutlich sind die sichergestellten Chats, die zudem ein abstossendes Sittenbild ergeben. Der Masterplan zur Machtübernahme, missbräuchlich finanziert aus Steuergeldern, scheint bestens dokumentiert.

Harter Migrationskurs

Wie wurde der österreichische Wunderwuzzi doch über die Landesgrenzen hinaus bewundert, mit 31 Jahren schon auf dem Höhepunkt angelangt. Der Jungpolitiker und Senkrechtstarter galt in konservativen Kreisen als Prototyp für den Erfolg. Dazu gehörte das harte bis unmenschliche Profil in der Migrationsfrage. Aber auch der Kuschelkurs in der ersten Koalition mit den Freiheitlichen (FPÖ). Selbst als er das Experiment mit den Rechtspopulisten nach dem Ibiza-Video abbrechen musste, hat es dem Teflonkanzler nicht geschadet. Die CDU brauche einen deutschen Sebastian Kurz, hiess es bei den Christdemokraten noch nach der Bundestagswahl im September. Auch in der Schweiz hat Sebastian Kurz seine Bewunderer. Noch mehr, als er sich im Streit mit Brüssel um das Rahmenabkommen als Verbündeter der Schweiz anbot.

Da hatte Österreichs Bundeskanzler in Brüssel und den europäischen Hauptstädten selbst kaum mehr Freunde. Nicht zum ersten Mal haben wir im Konflikt mit Brüssel womöglich auf das falsche Pferd gesetzt. Der Wunderwuzzi müsste jetzt für den letzten Bewunderer seinen Zauber verloren haben. Es ging Sebastian Kurz immer nur um Selbstdarstellung und Machterhalt. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Medien, Politiker und Wählerstimmen käuflich sind. Das rührt an den Kern der Demokratie. Deshalb sind die Ereignisse in Österreich ein Alarmsignal über das Land hinaus. Medienfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie sind nie selbstverständlich. Man muss nicht einmal an den abgewählten US-Präsidenten Donald Trump und den Sturm seiner Anhänger auf das Capitol in Washington erinnern. Passend auch, dass der Friedensnobelpreis dieses Jahr an die philippinische Investigativjournalistin Maria Angelita Ressa und den russischen Chefredaktor Dimitri Andrejewitsch Muratow geht.

Polen und Ungarn

Ungarn ist noch nicht Russland, aber auch der ungarische Regierungschef Viktor Orban muss vor den Wahlen im nächsten Jahr nicht mehr fürchten, dass staatliche Medien oder die grossen Zeitungen des Landes über Korruption und Klientelismus in den Regierungskreisen berichten werden. Mit Viktor Orban hat sich Sebastian Kurz immer gut verstanden. Wie selbstverständlich auch die Unterstützung für autoritäre Politiker auf dem Balkan. Es ist vielsagend, dass Sebastian Kurz und seine Mitstreiter jetzt die Schuld für den drohenden Sturz bei einem «roten Netzwerk» von Staatsanwälten und einem «linken Netzwerk» sehen. So reden jedenfalls Brandstifter. In Österreich haben die Kontrollmechanismen immerhin gerade noch funktioniert. Auch, weil eine grüne Justizministerin es zugelassen hat, dass eine Staatsanwaltschaft ihre Arbeit machen kann.

Polen ist neben Ungarn ein anderer EU-Staat, in dem dies nicht mehr garantiert ist. Die rechtsnationale Regierung in Warschau hat die Justiz weitgehend auf Linie gebracht. Weshalb sollen weiter europäische Steuergelder nach Polen fliessen, wenn Gerichte dort nicht mehr unabhängig über Korruptionsfälle urteilen können? Die Regierung in Warschau setzt jetzt sogar die Mitgliedschaft in der EU aufs Spiel. Freie Medien, unabhängige Gerichte, Rechtsstaat und Demokratie sind selbst im «freien Westen» nicht so selbstverständlich, wie sie scheinen. Es geht um Institutionen und Errungenschaften, die jeden Tag geschützt und verteidigt werden müssen. In Österreich besteht jetzt zumindest noch eine Chance für einen klaren Schnitt und einen Neuanfang.