Kloten-Rekordspieler Steve KellenbergerNach dem Ausgang übernachtete eine halbe Mannschaft bei ihm auf dem Dachboden
Steve Kellenberger stand lange im Schatten anderer. Nun ist er bei Kloten auf dem Weg, zur Legende zu werden. Wer ist der 37-Jährige, der einst Judo machte, aber nur Blödsinn anstellte?
- Steve Kellenberger ist das Gesicht des Klotener Neuanfangs.
- Nach dem Abstieg 2018 verlängerte er seinen Vertrag um 4 Jahre.
- Der Captain begann einst mit Handball und Judo.
- Seine Kindheit verbrachte er mit ZSC-Legende Lukas Flüeler.
Steve Kellenberger sitzt im Restaurant 83nullzwei im Klotener Zentrum Schluefweg. Hier, wo unter dem Motto «Alles stimmt, nur der Preis ist viel zu billig» abwechslungsreiche Menüs serviert werden, nippt der 37-Jährige an seinem Kaffee – und beginnt, statt über Eishockey über das Gastronomieangebot und die Infrastruktur der Klotener Swiss-Arena zu reden.
Das mag überraschen – doch Kellenberger ist nicht der Typ Spieler, der morgens ins Training fährt, sein Programm abspult und den Nachmittag vor der Spielkonsole verbringt. Der Verteidiger interessiert sich für die Abläufe hinter den Kulissen. Zwei Winter lang absolvierte er ein Praktikum auf der Geschäftsstelle, wirkte als Nachwuchstrainer und begleitete die Junioren im Sommer sogar in die Trainingslager – Kissenschlachten inklusive.
Kellenberger bestreitet aktuell seine 20. Profisaison. Seine körperlichen Defizite – er misst nur 173 Zentimeter – macht er mit Willenskraft und Einsatz wett. Lediglich zwei Saisons verbrachte er ausserhalb von Kloten. 2012 konnte Kellenberger den Lockrufen aus Biel nicht widerstehen, auch weil sein Stammclub nach seiner Schulteroperation mit einem neuen Vertragsangebot gezögert hatte. Kellenberger erinnert sich noch gut an den Moment, als er Trainer Felix Hollenstein seinen Entscheid überbrachte. «Ich hatte grossen Respekt davor», sagt er. «Und es kam dann auch nicht gut an.»
Hollenstein war fassungslos, habe ihn gefragt, weshalb er nicht vorgängig das Gespräch mit ihm gesucht habe. Der heute 59-Jährige stellte klar: «Nach Ablauf deines Vertrags kehrst du zurück!» Und prompt: Als Kellenberger als Topskorer mit Biel in Kloten gastierte, klingelte schon am nächsten Tag sein Telefon. Dann wurde der Vertrag aufgesetzt.
Lange stand das Klotener Eigengewächs im Schatten anderer. «Vielleicht hatte er auch zu viel Respekt vor den Führungsspielern», mutmasst Kevin Schläpfer, der Kellenberger sowohl in Biel als auch in Kloten trainierte. Der Abstieg 2018, nach 56 Jahren in der höchsten Liga, markierte jedoch einen Wendepunkt. Noch heute fällt es Kellenberger schwer, darüber zu sprechen. «Sportlich», sagt er, «war es der schlimmste Tag meines Lebens. Mit diesem Team hätten wir niemals absteigen dürfen.»
Noch am selben Abend traten die Clubverantwortlichen an ihn heran und signalisierten, weiterhin auf ihn setzen zu wollen. Kellenberger bat um ein paar Tage Zeit, wollte den Schock erst verdauen. Doch schon am nächsten Morgen teilte er seiner Frau mit, dass er bleiben werde – und unterschrieb für vier Jahre. «Ich wollte Kloten etwas zurückgeben», sagt er heute. «Ich fühlte eine grosse Dankbarkeit für alles, was mir der Verein gegeben hat: die vielen guten Zeiten, die Menschen, die ich kennen lernte, und all jene, die für diesen Club arbeiten.»
Kellenberger wurde zum Gesicht des Neuanfangs. Er ist Aufstiegscaptain, mit 846 Partien Klotens Rekordspieler, Integrationsfigur und Vorbild zugleich. Dennoch weiss man nur wenig über den Mann, den alle «Chälli» nennen. Noch immer wird erzählt, er stamme aus Bülach – dabei wuchs er in Bassersdorf auf. Sein einziger Bezug zu Bülach beschränkt sich auf eine Handvoll Spiele beim lokalen EHC vor fast 20 Jahren.
Zum Eishockey fand Kellenberger durch seine Mutter, die im Hotel Restaurant Frohsinn arbeitete, dort Spieler bediente und so an Tickets kam. Zuvor hatte sich Kellenberger im Handball versucht, dem Sport seines Vaters. «Das gefiel mir überhaupt nicht», erinnert sich der Verteidiger. «Also probierte ich Judo, aber ich kam nicht voran, stellte nur Blödsinn an und hörte nach einem Jahr auf.»
Kellenberger und das Nachtleben als Teenager
Nachdem er jedoch die Stars im alten Schluefweg spielen gesehen hatte, war es um Kellenberger geschehen. Zur selben Zeit begann der langjährige ZSC-Goalie Lukas Flüeler mit Eishockey. Die beiden verbrachten nahezu jede freie Minute zusammen, verreisten mit ihren Eltern sogar gemeinsam in die Ferien. Beim Strassenhockey stand nicht etwa der Torhüter Flüeler zwischen den Pfosten, sondern Kellenberger, der damals noch als Stürmer spielte. Später schlossen sich ihnen Denis Hollenstein, Simon Bodenmann, Damien und Adrian Brunner, Robin Grossmann, Juraj Simek und Yves Müller an.
Aus Kindern wurden junge Männer, die das Nachtleben für sich entdeckten – und dabei die legendären Fünfliber-Partys im Vibes besuchten, für die die halbe Ostschweiz nach Bassersdorf strömte. Die frischgebackenen Juniorenmeister wurden bei der Eingangskontrolle erkannt. «Obwohl wir zu jung waren, sorgten Leute dafür, dass wir Einlass fanden», verrät Kellenberger. «Wir hielten uns für die Grössten», ergänzt Flüeler. Und spricht von «goldenen Zeiten».
Nicht selten übernachteten die Teenager auf dem ausgebauten Dachboden bei Kellenberger zu Hause. Dessen Vater musste hin und wieder für Ruhe sorgen, wenn die Jungs spätabends heimkehrten, sich noch einen Film ansahen und dabei laut grölten. Kellenbergers Mutter bereitete am Morgen das Frühstück zu. «Bei Chälli wurden wir immer verwöhnt», erinnert sich Flüeler. «Manchmal sassen wir zu zehnt am Küchentisch.»
In Freiburg ausgerastet
Heute ist der dreifache Meistergoalie, der 2022 seinen Rücktritt gab, zusammen mit Bodenmann Götti von Kellenbergers 13-jährigem Sohn Liam. Flüeler sagt: «Chälli ist seit klein auf derselbe: ein ruhiger, verlässlicher Teamplayer. Setzt er sich zu einer Gruppe an den Tisch, ist er vielleicht nicht der Erste, der einen Witz erzählt oder eine Rede hält. Aber er ist derjenige, an dem alle Freude haben.»
Kellenberger beschreibt sich selbst als stur. Den Dickschädel habe er von seiner Mutter, einer gebürtigen Österreicherin, geerbt. «In den Diskussionen mit meiner Frau müssen die Fakten schon erdrückend sein, damit ich nachgebe. Sonst habe ich immer recht», sagt der 37-Jährige, der in der Kabine auch mal laut werden kann. So wie beim 1:7 in Freiburg vor einem Jahr. «Da bin ich komplett ausgerastet», gesteht der Captain. «Ich weiss nicht mehr, was ich gesagt habe. Ich hatte einen hochroten Kopf.» Doch das brauche es ab und an. Selbst während einer Saison wie der aktuellen. «Man kann Niederlagen nicht einfach akzeptieren, nur weil es zuvor gut gelaufen ist.»
Kloten ist das Überraschungsteam der Saison. Und könnte sich direkt fürs Playoff qualifizieren. Es wäre ein weiterer Meilenstein in Kellenbergers Karriere. Im Februar wird er 38. Er merke, dass er älter werde, sagt der Captain. Immer wieder werde er darauf angesprochen, dass seine Nummer 19 irgendwann zu den anderen Legenden unters Hallendach gezogen werden könnte. Es scheint Kellenberger, diesem bescheidenen Wesen, fast unangenehm.
Dem Club soll er auch nach der Karriere erhalten bleiben, in welcher Funktion, ist noch offen. Seinen Profivertrag hat er unlängst um ein weiteres Jahr verlängert. Mit funkelnden Augen sagt Kellenberger: «Es macht noch immer unglaublich Spass, zu spielen.»
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