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Historische Niederlage
Economiesuisse-Spitze nach AHV-Pleite in der Kritik

Monika Ruehl, Vorsitzende der Geschaeftsleitung economiesuisse, vorne, spricht neben Christoph Maeder, Praesident economiesuisse, waehrend der Jahresmedienkonferenz von economiesuisse, am Donnerstag, 2. Februar 2023, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Nach der Schlappe vom Sonntag kehren die bürgerlichen Parteien und die Arbeitgeberverbände die Scherben zusammen. Eine Abstimmung wie jene über die 13. AHV-Rente haben sie noch nie verloren: Eine linke Initiative für den Ausbau des Sozialstaats, das bürgerliche Establishment sprach sich geschlossen dagegen aus – trotzdem war das Ergebnis noch nicht einmal knapp. Was ist hier geschehen?

Diese Redaktion hat in den vergangenen Tagen mit einer Vielzahl von Personen gesprochen: mit aktuellen und ehemaligen Spitzenleuten der Unternehmensverbände, mit Parteikadern, mit Akteurinnen aus der Politik und Beobachtern aus der Wissenschaft. Viele davon haben darum gebeten, auf die Nennung ihrer Namen zu verzichten.

Der vorläufige Endpunkt einer längeren Entwicklung

Die meisten Gesprächspartnerinnen und -partner kritisieren den Unternehmensdachverband Economiesuisse – nicht nur für seine wenig schlagkräftige Kampagne, sondern für seine Entwicklung, die er in den vergangenen Jahren genommen hat.

Economiesuisse sei zwar nicht allein schuld an der Niederlage, betonen viele der Gesprächspartner. Die Bürgerlichen insgesamt hätten die Gefahr unterschätzt, die anderen Arbeitgeberverbände hätten auch nicht gerade brilliert, die bürgerlichen Parteien hätten sich nicht ausreichend engagiert. Und das Umfeld mit dem Teuerungsschub und der Milliardengarantie für die Credit Suisse habe den Gewerkschaften in die Hände gespielt.

Viel zu grosser Vorstand ohne Kampfgeist

Doch es sei der Unternehmensdachverband, der massgeblich zum Abstimmungsausgang beigetragen habe. Der Tenor lautet: Der Verband hat das Gespür für die Politik und die Stimmung in der Bevölkerung verloren.

«Statt die Basis zu fragen, was Sache ist, entscheiden sie top down und ergreifen immer die gleichen Massnahmen», sagt eine Führungsperson aus einem Branchenverband. Typisch für diese Haltung sei der viel kritisierte Brief der Alt-Bundesräte gewesen: «Er war von oben her gedacht, von den Reichen.»

Christoph Maeder, Praesident economiesuisse, spricht an der Jahresversammlung von economiesuisse, Am Tag der Wirtschaft, zu dem Thema ãWahlen 2023: Perspektiven statt Wunschdenken!Ò, aufgenommen am Freitag, 8. September 2023 im Kongresshaus in Zuerich. (KEYSTONE/Ennio Leanza)

Eine andere Führungsperson aus einem anderen Branchenverband weist auf die problematische Organisation von Economiesuisse hin. Mit mehr als siebzig Mitgliedern sei deren Vorstand viel zu gross und unbeweglich – «ein Gremium, das man, wenn man es geschickt anstellt, problemlos kapern kann».

Wenn sich die vielen Leute jeweils in einem riesigen Saal träfen, finde meist keine echte Diskussion statt. Stattdessen werde Traktandum um Traktandum abgehakt. Selbst der Vorstandsausschuss sei mit anderthalb Dutzend Mitgliedern zu gross, um den Kampfgeist wecken zu können.

Fehlender Draht zur Politik

Vor allem aber fehle dem Verband der direkte Draht zur Politik. Dies wird zwar teilweise der Internationalisierung der Wirtschaft angelastet – aber auch der Economiesuisse-Spitze. Konkret: Präsident Christoph Mäder und Direktorin Monika Rühl.

Mäder war nie Mitglied des eidgenössischen Parlaments. In Bundesbern wird ihm das umso übler genommen, als er den Eindruck vermittelt, die Politik nicht allzu wichtig zu nehmen. Beklagt wird seine mangelnde Präsenz: Er erscheine nur einmal pro Session im Bundeshaus, was viel zu selten sei. Und zwar zur Befehlsausgabe, wie moniert wird: Anstelle von regelmässigem Austausch pflege Mäder den Kommandoton, beklagen übereinstimmend mehrere bürgerliche Politikerinnen und Politiker.

Abstimmungssonntag vom 26.09.21: Nein Komitee mit Christoph Mäder

Mit der Folge, dass ihm das Verständnis für die Sorgen und Nöte der arbeitenden Bevölkerung fehle. «Wenn der Economiesuisse-Präsident vor der AHV-Abstimmung sagt, er wolle bis 70 arbeiten, so zeigt er null politisches Gespür», formuliert es ein erfahrener Wirtschaftspolitiker.

Noch schlechter weg kommt Direktorin Monika Rühl. Die ehemalige Diplomatin war in der Bundesverwaltung tätig, bevor sie zu Economiesuisse wechselte. Nun verwalte sie einfach weiter, anstatt zu kämpfen, wie sie es an der Spitze einer Unternehmenslobby tun müsste, lautet der am häufigsten genannte Vorwurf.

Economiesuisse Direktorin, Monika Rühl
in Zürich im Gebäude der Economiesuisse


August 2014
Esther Michel
www.esthermichel.com

Formuliert wurde all dies lange hinter vorgehaltener Hand, bis zum Abend des historischen Abstimmungssonntags. Da warf sich der rechtsbürgerliche «Nebelspalter» in die Bresche und forderte den Rücktritt von Monika Rühl: «Es ist höchste Zeit, dass sie geht – nach der historischen Niederlage für die Schweizer Wirtschaft», erklärte Chefredaktor Markus Somm in einem Podcast.

Somm ist Mitglied der FDP und an deren rechtem Flügel tätig. Sein Vater Edwin Somm war Mitte der Neunzigerjahre der erste Präsident der mächtigen Branchenverbände der Maschinenindustrie und Mitglied der Vorläuferorganisation von Economiesuisse.

Diese Redaktion hat Monika Rühl und Christoph Mäder mit den Vorwürfen konfrontiert. Die Direktorin wies sie zumindest zum Teil zurück: Economiesuisse stehe «in einem regelmässigen und engen Austausch mit allen Akteuren in Bundesbern», schrieb sie in ihrer Stellungnahme. So sei sie beispielsweise vergangene Woche vier Tage in Bundesbern gewesen und habe «viele gute, konstruktive Gespräche geführt».

Economiesuisse verweist auf hohe Erfolgsquote

Zwar räumt Rühl ein, dass Arbeitgeber und bürgerliche Parteien den Stimmungswandel in der Bevölkerung nicht rechtzeitig wahrgenommen hätten und dass es im Rückblick sinnvoll gewesen wäre, der Initiative zur 13. AHV-Rente einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen.

Sie weist aber darauf hin, dass die Erfolgsquote bei den von Economiesuisse geführten Abstimmungskampagnen rund 90 Prozent betrage. So sei der Verband bei der OECD-Mindeststeuer auf der Gewinnerseite gestanden. Ebenso beim Freihandelsabkommen mit Indonesien, bei der 99-Prozent-Initiative, der Tierversuchsverbot-Initiative und der Abstimmung zur Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex, der europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache.

Ist also alles halb so wild, die deutliche Niederlage am Sonntag ein seltener Ausrutscher? So wie es vor zehn Jahren die Ja zur Abzockerinitiative und zur Masseneinwanderungsinitiative waren?

Daten des Projekts Swissvotes der Universität Bern zeigen tatsächlich, dass die Erfolgsquote von Economiesuisse bei Volksabstimmungen auf längere Sicht im Rahmen früherer Jahrzehnte liegt – von einer höchst erfolgreichen Zeit rund um die Jahrtausendwende abgesehen.

Mehrere wichtige Abstimmungen verloren

Allerdings bröckelt die Blockademacht des Verbands bei Volksinitiativen. Während der vergangenen vier Wahlperioden stieg der durchschnittliche Anteil Ja-Stimmen bei Volksinitiativen, für die Economiesuisse ein Nein beschlossen hatte, deutlich an. Bei sieben von ihr bekämpften Initiativen hat es seither gar für ein Ja gereicht, was davor jahrzehntelang eine absolute Seltenheit war.

Allein deswegen könne aber keineswegs gesagt werden, ob der politische Einfluss des Verbands insgesamt gelitten habe, sagt Hans-Peter Schaub von Swissvotes. «Was die Verbände beim Lobbyieren im Parlament und bei der Verwaltung erreichen, dürfte wesentlich stärker ins Gewicht fallen als die eine oder andere Abstimmungsniederlage.»

Doch genau beim Lobbyieren liegt das Problem. Economiesuisse hat offensichtlich im Gegensatz zu früher keinen guten Draht mehr zu bürgerlichen Politikerinnen und Politikern.

Selbst wenn den verschiedenen Unternehmensdachverbänden ein Schulterschluss gelingt, garantiert das keinen Erfolg. Anders als bei der Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 nur dank des Ständemehrs nicht angenommen wurde, waren sich Economiesuisse, Arbeitgeber-, Gewerbe- und Bauernverband diesmal zwar einig. Seit sie sich vor rund zwei Jahren zu «Perspektive Schweiz» zusammengeschlossen haben, achten sie peinlich darauf, sich zumindest öffentlich nicht zu widersprechen.

Dennoch hat es gegen die 13.-AHV-Initiative nicht zur Nein-Mehrheit gereicht. Gefährlich könne es für die Unternehmenslobbys werden, wenn Gewerkschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen an einem Strick zögen, sagt Steven Eichenberger, der an der Universität Genf zur Schweizer Politik forscht. Genau das ist im aktuellen Fall geschehen: So hatte der mächtige Frauendachverband Alliance F die Ja-Parole zur 13. AHV-Rente beschlossen.

Das sei das Bemerkenswerte am jüngsten Abstimmungssonntag, sagt Eichenberger: «Die Wirtschaftsverbände haben die Gewissheit verloren, dass die Suppe gegessen ist, wenn man sich untereinander einigt.»