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SRF-Audiodeskription
«E rundlichi Pflegerin amene Bettli»

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Neulich bei der Auswanderersendung «Auf und davon» im Schweizer Fernsehen: Schauplatz Florida, beim grössten Dessertfestival der USA. Konditoren und Bäcker wetteifern um den Preis für die schönste Süssspeise, auch die beiden Schweizer Auswanderer Marina und Mike gehen mit ihren Waffeln ins Rennen. Eine Jurorin tritt an ihren Stand, oder wie sie die Hörfilmstimme aus dem Off bezeichnet: «e korpulenti Jurorin». Keine zwei Minuten später tritt die Jurorin wieder auf, die Stimme im Fernsehen wiederholt «die korpulenti Jurorin.» Man stutzt: Reduziert das SRF hier Menschen unnötig auf ihre Körper?

Es handelt sich bei den Tonspuren um sogenannte Audiodeskriptionen. Das sind akustische Hilfen für Sehbehinderte. Darin beschreibt eine Stimme aus dem Off, was in den Dialogpausen geschieht. Blinde und Sehbehinderte erfahren auf diese Weise beispielsweise, dass die Protagonistin schweigend aus dem Fenster schaut oder dass eine neue Person den Raum betritt. 

Das ist komplexer, als es klingt. Die Herausforderung: Die Sprecherinnen und Sprecher müssen in wenigen Sätzen viele Dinge beschreiben, die Sehende auf einen Blick wahrnehmen: ob die eintretende Person gross oder klein ist, wie alt sie ungefähr ist, welche Haarfarbe sie hat. Weil sie dafür nur wenige Sekunden zur Verfügung haben, bis der nächste Dialog weitergeht, müssen sie priorisieren: Erwähnen sie die Brille der Person, oder beschreiben sie das Alter? Ist es wichtig, dass die Person blond ist, oder reicht die Angabe, dass es sich um eine Frau handelt? 

Ein heikles Terrain

2021 hat die SRG 1258 Stunden an Sendungen mit Audiodeskription ausgestrahlt; das ist ein Drittel mehr, als sich das Unternehmen in einem Abkommen mit Verbänden für sinnesbehinderte Menschen zum Ziel gesetzt hatte. Eine erfreuliche Entwicklung also – nur betreten Fernsehanstalten mit den Hörfilmen heikles Terrain. Audiodeskriptionen leben von der expliziten Nennung äusserlicher Merkmale, und in der Welt der Sehenden kann man da viel falsch machen: Wer eine Politikerin als «zierlich» bezeichnet, muss sich die Frage gefallen lassen, was dieses Merkmal mit ihrer Funktion zu tun hat, und jemanden öffentlich als übergewichtig zu beschreiben, ist ein No-go. 

Schafft das Schweizer Fernsehen mit den Hörfilmen, die eigentlich der Inklusion dienen sollen, ungewollt neue Diskriminierungen, indem Menschen auf Merkmale wie «korpulent» oder «blond» reduziert werden?

Zum Beispiel mit der korpulenten Jurorin sagt Natacha Rickenbacher, Fachspezialistin Barrierefreies Angebot bei SRF: «Dass derselbe Ausdruck gleich zweimal innert kürzester Zeit verwendet wurde, ist sicherlich nicht ideal.» Grundsätzlich dürfe eine Audiodeskription aber nichts verschweigen. «Blinde Menschen sollen die genau gleiche Bildinformation erhalten. Dabei werden keine körperlichen Merkmale beschönigt oder verheimlicht.»

«Die Haarfarbe ist ein sehr auffälliges und eindeutiges Merkmal, wird darum also tendenziell öfter genannt.»

Natacha Rickenbacher, Fachspezialistin Barrierefreies Angebot bei SRF

Doch wie entscheiden die Sprecherinnen, welche Information der Hörerin am meisten beim Verständnis hilft? Und werden bei Frauen und Männern andere, möglicherweise genderstereotype Merkmale hervorgehoben? So werden in «Auf und davon» nacheinander auftretende Protagonistinnen als «e Rothaarigi» und «drü blondi Fraue» bezeichnet, eine männliche Figur hingegen als «junge Maa mit Brülle.»

Und in der Doksendung «Mona mittendrin» auf der Neonatologiestation werden klischierte Zuschreibungen – intellektueller Arzt, hübsche Pflegerin – bedient: Der eintretende Chefarzt wird als «Arzt mit Brille» beschrieben. Später tritt eine Pflegerin auf, die Stimme aus dem Off nennt sie «blonde Pflegerin». 

Dazu sagt Rickenbacher: «Die Haarfarbe ist ein sehr auffälliges und eindeutiges Merkmal, wird darum also tendenziell öfter genannt.» Daneben werde das Alter – sofern abschätzbar – als Charakteristikum bevorzugt erwähnt, da es besonders aufschlussreich sei. 

Trotzdem stellt sich bei einzelnen Beschreibungen die Frage der Relevanz: Ein Beispiel aus derselben Folge von «Mona mittendrin»: «Im Neugeborenezimmer: e Dunkelhaarigi, en Maa und e rundlichi Pflegerin amene Bettli». Inwiefern ist die Information, dass die Pflegerin rundlich ist, wesentlich für das Verständnis der Sendung? Die Beschreibung stehe in keinem Zusammenhang mit der Funktion, sagt Rickenbacher. Vielmehr werde die Pflegerin als rundlich beschrieben, «weil das das Merkmal war, das sie am deutlichsten von den anderen Anwesenden unterschied.»

Wie es Netflix handhabt

Das Schweizer Fernsehen lässt sämtliche Audiodeskriptionen extern produzieren (etwa durch den Verein Hörfilm Schweiz) oder kauft sie ein. Natacha Rickenbacher sagt: «In der Regel arbeitet bei den Dienstleistern eine sehbehinderte oder blinde Person mit. Sie schätzt dann ein, was für sie wichtig ist und welche Beschreibung sie braucht, um den Inhalt zu verstehen.»

Alle Audiodeskripteure bei Hörfilm Schweiz hätten eine Ausbildung nach der Lehre des Bayerischen Rundfunks absolviert. Dabei werde das Autorenteam auch darin geschult, wie unvorteilhafte Eigenschaften zu benennen seien: also «korpulent» oder «rundlich» anstatt «fett». Ebenso werde mit Geschlechterstereotypen umgegangen, sagt Rickenbacher, ohne ein Beispiel zu nennen.

Etwas anders handhabt es der Streamingdienst Netflix: Seine Richtlinien für Audiodeskriptionen halten fest, dass nur essenzielle, das heisst für die Handlung oder für den Figurencharakter zentrale Informationen genannt werden sollen. Eine «Über-Beschreibung» sei zu vermeiden – «keine bildlichen Informationen verwenden, die nicht absolut notwendig für das Verständnis oder das Funktionieren der Szene sind».

Audiodeskription bei Netflix: Nicht ganz so eng sieht Netflix seine Richtlinien offenbar, wenn es um Castingshows geht. Dort bleibt es fürs Verständnis des Geschehens fast zwingend, dass Äusserlichkeiten beschrieben werden. So wie in der Blind-Date-Realityshow «Love Is Blind», wo laufend Adjektive wie «üppig» oder «langhaarig» fallen. Auch wird durchweg die Hautfarbe der Teilnehmenden genannt – allerdings wird diese in den Dialogen auch zum Thema gemacht. Kurios wirkt die Charakterisierung über Haarlänge und Statur trotzdem. Schliesslich betonen hier alle, dass sie Begegnungen jenseits von Oberflächlichkeiten suchen.

Die Journalistin Vivian in der Netflix-Dramaserie «Inventing Anna» derweil erhält in der (englischen) Audiodeskription die Marker «weiss» und «schlank». Zumindest das Gewicht tut für ihren Job wenig zur Sache. Und wieso ihr Mann Jack als «schmuddeliger Schlaks» beschrieben wird, ist auch nicht klar. Weil er einen 3-Tage-Bart hat? Pascal Blum