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«Queer Eye Germany» 
Die netteste aller Netflix-Serien

Kommts gut? Die «Fabulous Five» von «Queer Eye Germany». 
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Wer denkt, eine Makeover-Show legt die Lebensrealität der Teilnehmenden in Trümmer und baut danach eine besserwisserische Idealvorstellung wieder auf, liegt falsch. Die neue Netflix-Serie «Queer Eye Germany» ist so zugewandt, dass man alle Mitwirkenden und das Laptop gleich mit umarmen möchte. Und die Hosts sind so aufgedreht und bunt, wie man es aus dem amerikanischen Vorbild kennt.

In den USA geben seit 2018 queere Style-Experten Tipps für ein besseres Leben. Nun schickt Netflix auch in Deutschland ein Team an den Start.

Überwältigende Herzlichkeit

Interior-Designer Ayan richtet die Wohnungen der Teilnehmenden neu ein, zum Teil kommt das einer Renovierung nahe. Aljosha, gelernter Arzt, ist zuständig für Gesundheit und Ernährung. Als Modeberater kleidet Jan-Henrik neu ein. Leni soll in ihrer Kategorie «Life» mit den Teilnehmenden über Ängste, Verluste und Probleme reden, aber auch Spass und Leichtigkeit ins Leben bringen – derart tiefgründige Gespräche in nur wenigen Minuten zwischen Friseur und Herrenausstatter abzuhaken, gelingt nicht immer. David kümmert sich um Frisuren, Brillen und Make-up. Zusammen bilden Sie die «Fabulous Five» – in der Kurzform Fab.

Weit mehr als ein neues Haarwachs, das Hawaiihemd und der Parkettboden ist es die überwältigende Herzlichkeit der Fabulous Five, die das Format trägt: Zeigen sich zum Beispiel die oft schüchternen Teilnehmer im Laufe der Folge selbstbewusster, hüpfen die Hosts vor Begeisterung und fallen sich in die Arme.

Einer jungen Frau, die ihre Familie verloren hat, in einer Makeover-Show zu helfen, ist gewagt.

Sie machen es sich zur Aufgabe, «den wahren Nils» zu finden und Björn zu vermitteln, dass er ein toller Vater ist – «Queer Eye» stellt nun mal die Protagonisten in den Mittelpunkt: Für den alleinerziehenden Vater gibt es ein One-Pot-Gericht, für die herzkranke Marleen Gesundheitstipps zu Smoothies. Auch wenn dann nicht jede Neuerung gleich mit gleichbleibender Begeisterung aufgenommen wird (mit einem Tag Abstand hatte Nils seine alte Brille auf und kämmte die Haare wieder in die Stirn): Gerade weil niemand den Eindruck macht, sich unfreiwillig selbst aufzugeben, funktioniert «Queer Eye» erstaunlich gut. Und weil die Fabs sich nicht zu ernst nehmen. In Nils altem Kinderzimmer ist es Ayan, der die Kuscheltiere zu sich holt.

Die Sendung reiht sich offensichtlich in eine Parade der Nettigkeit im Fernseh- und Streamingprogramm ein. Von immer diverseren «Germany’s Next Top Model»-Staffeln bis zu nur noch aufmunternden Worten bei «Deutschland sucht den Superstar»: Es ist der Versuch der Bewegtbildindustrie, die gemeinen Castingshows der Nullerjahre hinter sich zu lassen. Und es wirkt, als hätten die «Fab5» alle Herabwürdigungen der Bohlen-Ära mit Glitzerstaub in die Vergangenheit gepustet.

Manchmal geht Netflix an die Grenze des Machbaren. Einer jungen Frau, die ihre gesamte Familie verloren hat, in einer Makeover-Show zu helfen, ist gewagt. Ebenso wie ein (höchstwahrscheinlich nachgestelltes Date) mit der Kamera zu begleiten. Die Lebensgeschichten der Teilnehmenden rühren bis an die Tränengrenze und manchmal auch darüber hinaus. Aber wenn die schrille Runde den Zuschauern ihre Fröhlichkeit und Zuversicht um die Ohren knallt, hat man keine andere Wahl, als sich ihren Lebens-Ratschlägen zu ergeben. Und wenn mal wieder alle von den Gefühlen überwältigt sind, flüchtet die bunte Meute sich in eine Gruppenumarmung.

Fast könnte man darüber vergessen, dass Netflix mit «Queer Eye» das Klischee des betulichen, schwulen Friseurs reproduziert. Dennoch will die Serie durchaus auch aufklärerischen Anspruch anmelden. So sollen die Fabulous Five etwa dem alleinstehenden Bäcker Nils bei seinem Coming-out helfen.

«Das ist der Beginn des Regenbogens», bilanziert Dekorateur Ayan nach dem ersten Kennenlernen in Folge drei, und sein Satz hallt nach, als wäre er das Motto der gesamten Serie. Denn tatsächlich: Eine so lebensbejahende Makeover-Show fehlte bisher. Wer den schillernden Hosts dabei zusieht, wie sie ihre Nächstenliebe ganz unabhängig von Lebensformen und Sexualität in die Welt der Gartenzwerge und Fussballbettwäsche tragen, erkennt, dass das Ende der spiessbürgerlichen Ideale im deutschen Fernsehen selten so nah war.