Dürfen Berggänger weiter mit dem Auto anreisen?
Der SAC unterstützt die Gletscherinitiative, lehnt zwei andere ökologische Volksbegehren aber ab, weil er neue Schutzgebiete befürchtet. Das weckt Kritik.
Es war kein Jahrhundertereignis, aber immerhin ein halbes. Der Schweizer Alpen-Club (SAC) hat am Samstag in Lugano beschlossen, die Gletscherinitiative zu unterstützen – und damit ein Volksbegehren. Zuletzt getan hat er dies in den 1970er-Jahren, als er sich für die Volksinitiative «Zur Förderung der Fuss- und Wanderwege» einsetzte. Nun also stellt sich der SAC hinter das Klimaziel, die Treibhausgasemissionen der Schweiz bis spätestens 2050 auf (netto) null zu senken.
Der Impuls ging vom Zentralvorstand aus. Der SAC mit seinen rund 150'000 Mitgliedern ist selber stark vom Klimawandel betroffen, wie Präsidentin Françoise Jaquet sagt: «Schmelzende Gletscher, auftauender Permafrost und daraus folgende Instabilitäten sind die offensichtlichsten Merkmale im Gebirge und wirken sich auf den Bergsport aus.» Anfang Jahr hatte sich der Zentralvorstand deshalb für den Support der Initiative ausgesprochen. «Aufgrund der grossen Ausstrahlung», die Volksinitiativen haben, wollte er aber zusätzlich die Legitimation der SAC-Delegierten abholen.
Zwar gab es im Vorfeld der Versammlung durchaus kritische Stimmen. Sie warnten davor, bei einer Annahme der Volksinitiative seien die Versorgung der SAC-Hütten durch Helikopter oder das Heliskiing gefährdet. Auch sei der SAC ein Bergsportverband, keine politische Organisation. Doch die Versammlung am Samstag zeigte ein anderes Bild: 135 Abgeordnete folgten dem Antrag, 6 verwarfen ihn, 9 enthielten sich. Die Initianten freuen sich über den Support. «Auf dieser Basis können wir sehr gut weiterarbeiten, gerade auch in Bezug auf die immer noch sehr Klimaschutz-kritischen Bergkantone», sagt Dominik Siegrist, Co-Präsident des Vereins Klimaschutz Schweiz.
Angst vor «Zugangsbeschränkungen»
Kein Thema in Lugano waren dagegen zwei andere Volksinitiativen, die sich ebenfalls im Sammelstadium befinden und aus dem Öko-Lager stammen: die Landschafts- und Biodiversitätsinitiative. Erstere will die Bautätigkeit ausserhalb der Bauzonen stoppen. Zweitere fordert unter anderem mehr Flächen und Geld für die Biodiversität.
Die SAC-Führung sieht die beiden Ansinnen kritisch: «Ohne die Zusicherung, dass es nicht zu weiteren grossflächigen Schutzgebieten kommt, die das Bergsteigen weiter unverhältnismässig einschränken, ist eine Unterstützung nicht sinnvoll», sagt René Michel. In Lugano hat er im Namen des Zentralvorstands den Antrag zur Unterstützung der Gletscherinitiative vertreten. In der Mai-Ausgabe der SAC-Zeitschrift «Die Alpen» drückte sich Michel so aus: «Wir befürchten Zugangsbeschränkungen.» Das aber widerspreche der SAC-Idee, den Zugang zur Natur zu erhalten. «Deshalb machen wir bewusst nicht mit.»
Gegen ein Engagement spricht laut Michel auch die «grosse Breite der Themen», die «zum Teil nicht einen direkten Zusammenhang zum Bergsport aufweisen». Auch habe der SAC nicht die Ressourcen, mehrere Initiativen zu unterstützen. Ob die SAC-Delegierten dies auch so sehen, dürfte sich kaum je klären. Der Zentralvorstand plant nicht, sie über die beiden Initiativen zu befragen.
«Wenn der SAC den Klimaschutz ernst nimmt, dann braucht es dringend ein klimafreundliches Verhalten auch der Bergsteiger.»
Für mehr Klimaschutz, gegen neue Schutzgebiete? Die Politik des SAC ruft Kritik hervor. «Ich bedaure es sehr, dass der SAC unsere beiden Initiativen nicht unterstützt», sagt Ursula Schneider Schüttel, Präsidentin von Pro Natura und SP-Nationalrätin. «Schliesslich profitieren auch die aktiven SAC-Mitglieder von einer unverbauten Landschaft und der Biodiversität.»
SP-Nationalrätin Silva Semadeni ergänzt, es sei nicht neu, dass der SAC offiziell gegen Schutzanliegen sei, weil er Einschränkungen befürchte. Doch sei der Verein mit seinen 111 Sektionen jeweils gespalten. Das zeige sich etwa beim Heliskiing oder bei der Diskussion um die Schaffung neuer Nationalparks. Die beiden SP-Politikerinnen begrüssen aber, dass sich der SAC für die Gletscherinitiative ausspricht. Semadeni stellt aber klar: «Wenn der SAC den Klimaschutz ernst nimmt, braucht es dringend ein klimafreundliches Verhalten auch der Bergsteiger, inklusive klimafreundliche Mobilität.»
SAC will CO2-Bilanz verbessern
Der SAC weiss um das ökologische Spannungsfeld, in dem sich Berggänger bewegen. Die Unterstützung der Gletscherinitiative sieht er als ein Bekenntnis, «die CO2-Emissionen weiter zu senken und immer umweltfreundlicher unterwegs zu sein». So etwa ersetzt er bei Hüttenrenovationen fossile Brennstoffe «möglichst» durch erneuerbare Energien. Auch informiert er die Bergsportler, wie sie ihre eigenen CO2-Emissionen so gering wie möglich halten können. Mit Angeboten wie dem Schneetourenbus und Bus Alpin fördert er die Benutzung des ÖV.
Doch die Realität sieht oft so aus: Tourengänger nehmen gerne das Auto, sei es aus reiner Bequemlichkeit oder weil es die Verhältnisse erfordern, speziell bei Skitouren im Frühjahr, die aus Gründen der Sicherheit einen frühen Aufbruch bedingen oder deren Ausgangspunkt mit dem ÖV nicht erschlossen ist. Auf dem Sustenpass zum Beispiel reiht sich an schönen Tourentagen Auto an Auto.
«Es wäre sektiererisch, Vorschriften zu machen»
Hält es der SAC jetzt – mit seinem klaren Bekenntnis zum Klimaschutz – noch für legitim, mit dem Auto für eine Bergtour anzureisen? René Michel antwortete in der SAC-Zeitschrift so: «Ich denke schon.» Es komme immer darauf an, wie lange ein Aufenthalt in den Bergen dauere und wie aufwendig die Anreise sei. «Es wäre sektiererisch, den Leuten detaillierte Vorschriften zu machen.»
Auf Nachfrage dieser Redaktion betont er, Fahrgemeinschaften und Mehrtagestouren seien «auch schon ein Fortschritt». Auch gebe es viele Touren, die ohne Auto möglich seien. Michel stellt zudem klar: «Die Unterstützung der Initiative bedeutet nicht, dass wir nun sofort Musterknaben werden, aber die Diskussion und die Umsetzung von sinnvollen Massnahmen hat begonnen.»
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