Glosse aus der Sondersession«Ds Tschifru-Muri» im Bundeshaus – ein doofer Vorstoss erntet Gelächter
Ein Deutschschweizer SVP-Nationalrat findet, Tessinerinnen und Romands sollten gefälligst Mundart verstehen. Ein Walliser kontert mit einem Gedicht – das Parlament tobt.
Es hat etwas länger gedauert, 15 Jahre ist Lukas Reimann im Nationalrat, doch nun findet er endlich den Mut, auszusprechen, was ihn all die Zeit schon plagt: Er muss im Parlament Hochdeutsch sprechen.
Und so tut der St. Galler SVP-Nationalrat das, was Parlamentarier bei den ganz grossen Problemen dieses Landes zu tun pflegen: Reimann verfasst einen Vorstoss («är schriibt es Moziönli», wie man im Bundeshaus sagt). Per eben dieser Motion verlangt Reimann, dass man im Parlament künftig auch Mundart sprechen dürfe. Am Dienstagabend nun wurde seine Idee im Nationalrat debattiert.
Dass nicht Dialekt seit 175 Jahren eine der vier Amtssprachen der Schweiz ist, sondern Hochdeutsch? Kein Argument für Lukas Reimann. «Wenn jemand volksnah zu den Bürgerinnen und Bürgern sprechen will, dann spricht er im Dialekt.»
Reimanns 15 Jahre Parlamentsarbeit sind ziemlich spurlos an seinem Schulfranzösisch vorbeigegangen.
Dass Dialekt für Romands und Tessinerinnen nahezu unverständlich ist? Kein Argument für Lukas Reimann. Christiane Brunner habe schon vor 30 Jahren gesagt, Dialekt sei einfacher als Hochdeutsch (dass Brunner mit Französisch und Schweizerdeutsch aufgewachsen ist, vergisst er zu erwähnen).
Doch Reimanns Argumente scheinen die Nichtdeutschsprachigen im Rat nicht wirklich zu überzeugen.
Die Waadtländerin Ada Marra (SP) tritt ans Rednerpult. Sie fragt (auf Nicht-Dialekt-Französisch), ob Reimann vielleicht zuerst Französisch lernen möchte, bevor er Romands und Tessiner zum Schweizerdeutsch-Lernen verdonnere? Reimann versucht, auf Französisch zu parieren, beweist damit aber vor allem, dass 15 Jahre Parlamentsarbeit ziemlich spurlos an seinem Schulfranzösisch vorbeigegangen sind. Als Parlamentarier sollte er zwar Französisch verstehen, räumt Reimann ein, aber reden wolle er es nicht. «Parce que ce n’est pas joli.»
An dieser Stelle verzeichnet das Ratsprotokoll ein erstes Mal «Heiterkeit». Reimanns Gegner wittern Blut.
Die Waadtländerin Céline Weber (GLP) will wissen, welchen Dialekt die Romands denn seiner Meinung nach lernen sollten. Vielleicht «Bärndütsch»? Oder doch eher «Oberwalliserditsch»? Der Welschwalliser Jean-Luc Addor, Reimanns Parteikollege, erkundigt sich, wie genau sich Reimann das Protokollieren von Dialekt-Debatten vorstelle.
«Wenn Sie eine schöne Sprache sprechen möchten, können Sie auch Rätoromanisch lernen.»
Der Tessiner Fabio Regazzi (Mitte) interveniert auf Italienisch: «Bevor Sie uns zwingen, Schweizerdeutsch zu verstehen, sollten Sie da nicht zumindest Tessiner Dialekt und Italienisch lernen?» Reimann versteht die Frage nicht, versichert aber immerhin, auch Tessiner und Romands seien wichtig. «Sie gehören dazu.» Uff!
Nationalratspräsident Martin Candinas gibt Reimann einen Rat: «Wenn Sie eine schöne Sprache sprechen möchten, können Sie auch Rätoromanisch lernen.» Verstärkte Heiterkeit.
Inzwischen ist Reimann argumentativ derart in Rücklage geraten, dass ihm zwei Parteikollegen zu Hilfe eilen. Thomas Matter jammert, Romands und Ticinesi dürften im Rat in ihrer Muttersprache reden, bloss die armen «Suisse totos» müssten sich ständig verstellen. Genau das sei «die Tragik», sagt auch SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. (Kleine Information am Rande: Im Tessin werden auch lombardische Mundarten gesprochen und im Welschland Patois.)
Matters und Aeschis Support hilft Reimann nichts mehr, denn nun schreitet Philipp Matthias Bregy, der Fraktionschef von Die Mitte, ans Rednerpult. Er werde den Beweis führen, warum Reimanns Vorschlag nicht umsetzbar sei, sagt der Oberwalliser – und beginnt ohne Überleitung, ein Dialekt-Gedicht des 1975 verstorbenen Dichters Moritz Gertschen aus Naters zu rezitieren:
«Fascht üsser Atu heintsch alli glosut,
was ds Tunisch Ettro da verzellt;
und ds Tschifru-Muri het nim’ gitosut,
und ds Kathri unner ds Chritz schi gstellt.
Und d’Müehma Sänza faht schwär a churru,
sälbscht d’Luwisa äschubleichi chunt;
wils z’glicher Zit vam Chilchuturru
grad zwelfi schlaht, di Geischerstund!»
Hier verzeichnet das «Amtliche Bulletin» keine «Heiterkeit» mehr, denn das wäre eine Lüge: Der Nationalratssaal tobt.
Der Rat schreitet zur Abstimmung. 164 Stimmen für Philipp Matthias Bregy und seinen toten Dichter, 20 Stimmen für Lukas Reimann. Reimann muss also auch künftig Hochdeutsch sprechen. So ne arme Schnäggo!
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.