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Gregor Kobel in der Warteschleife
Warum ist der wertvollste Goalie der Welt bei Yakin nur zweite Wahl?

STADIO GIUSEPPE MEAZZA, MILAN, ITALY - 2023/11/28: Gregor Kobel of Borussia Dortmund reacts during the UEFA Champions League football match between AC Milan and Borussia Dortmund. Borussia Dortmund won 3-1 over AC Milan. (Photo by Nicolò Campo/LightRocket via Getty Images)
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Die grössten, weil ehrlichsten Komplimente kommen im Fussball nicht immer von Experten oder eigenen Trainern. Nein, manchmal kommen sie von der Konkurrenz. Natürlich ist Marwin Hitz enttäuscht, als ihm die Vereinsverantwortlichen bei Borussia Dortmund im Frühsommer 2021 sagen, dass sie mit Gregor Kobel eine klare Nummer 1 holen.

Eine Saison lang nimmt der heutige Basel-Goalie hinter Kobel auf der Bank Platz, dann muss er seine Niederlage endgültig einräumen. Und er sagt den BVB-Bossen diesen bemerkenswert ehrlichen Satz: «Ihr habt die richtige Entscheidung getroffen.» In einem Interview mit der NZZ ergänzt er: «Kobel ist ein unglaublich guter Goalie.»

Hitz zieht weiter zum FC Basel, Kobel bleibt im Dortmunder Tor und beeindruckt nach und nach nicht nur die Konkurrenz im eigenen Verein. Als Emre Can im Oktober 2022 nach einem mühsamen 2:0 im Cup gegen Zweitligist Hannover nach dem Grund für den Sieg gefragt wird, hat er eine einfache Antwort parat: «Wir haben Gregor Kobel im Tor.»

Ein paar Monate später wird Kobel vom Fachmagazin «Kicker» zum besten Bundesligagoalie des abgelaufenen Halbjahres gewählt. Vor Manuel Neuer. Vor Yann Sommer. Gleiches im Sommer 2023. Und vergangenen Dezember nochmals. Das Forschungsinstitut Cies Football Observatory taxiert Kobels Marktwert auf 60 Millionen Euro – weltweit kommt kein Torhüter auf einen höheren Wert.

Kurz: Der Zürcher gehört auf seiner Position zur internationalen Elite. Zur absoluten Weltklasse.

Komplizierte Beziehung zum Nationalteam

Dennoch kommt er als 26-Jähriger gerade mal auf fünf Länderspiele. Und zumindest in den nächsten sechs Monaten dürften nicht allzu viele dazukommen. Das hat der Nationaltrainer Murat Yakin zuletzt verraten, als er beim TV-Sender Blue Yann Sommer als Nummer 1 für die anstehende Europameisterschaft in Deutschland bestätigte.

Kobels Beziehung zum Nationalteam bleibt also kompliziert. Um die Vorgeschichte etwas besser verstehen zu können, hilft ein Blick in die SRF-Produktion «Pressure Game», eine Doku rund um die WM 2022 in Katar, inklusive Vorbereitung.

Kobel kämpft damals noch mit Jonas Omlin um den Posten als Nummer 2 hinter Sommer. Im Rahmen zweier Testspiele gegen England und Kosovo fällt der Stammtorhüter mit Corona aus, Goalietrainer Patrick Foletti kommuniziert den anderen beiden, wie die Spiele aufgeteilt werden. Für den prestigeträchtigeren Match im legendären Wembley erhält Omlin den Vorzug. Kobel beisst sich auf die Oberlippe und nickt herausfordernd, als Foletti den Entscheid mitteilt. Er macht sich keine Mühe, den Frust zu verbergen, in die Kameras sagt er danach mit seiner tiefen Stimme und mit eindringlichem Blick: «Das scheisst mich natürlich an. Und zwar brutal!»

Vielleicht sind es solche Dinge, die Sommer meint, wenn er über Kobel sagt: «Er ist selbstbewusst, laut, ein Charakterkopf, der sagt, was er denkt.» Vielleicht kommt es daher, dass Omlin später ergänzt: «Er hat eine deutsche Mentalität.»

Goalkeeper Jonas Omlin, links, und Gregor Kobel, im Training der Schweizer Fussball Nationalmannschaft, am Montag, 31. Mai 2021, in Bad Ragaz. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller).

Gut möglich, dass es Kobel geprägt hat, bereits im Alter von 16 Jahren den GC-Nachwuchs zu verlassen und nach Deutschland in die Akademie der TSG Hoffenheim zu wechseln. Dafür brach er das Gymnasium ab.

Image des Verbissenen

Sinsheim, zwischen Heidelberg und Heilbronn gelegen, ist nicht gerade eine Metropole, viel zu machen gibt es da nicht. Also verbringt Kobel damals noch mehr Zeit mit Fussball, entweder auf dem Platz oder im Videostudium. Er arbeitet versessen, detailorientiert, später haftet ihm der Ruf an, er sei verbissen, seine lockere und humorvolle Seite wird gern ignoriert. Aussagen wie jene von Sommer in «Pressure Game» oder auch ein ziemlich interessanter Dialog mit Goalietrainer Foletti verstärken dieses Image.

Kurz nachdem kommuniziert worden ist, dass Omlin im Wembley auflaufen darf, fragt Foletti: «Alles klar bei dir?» Kobel: «Ja.» Foletti: «Du hättest nicht gespielt, wäre Yann fit gewesen.» Kobel: «Wieso?» Foletti: «Hä?» Kobel nochmals: «Wieso?» Foletti: «Einfach, weil wir anders aufgeteilt hätten.» Kobel: «Habt ihr nicht gesagt, ich sei die Nummer 2?» Foletti: «Hä?» Kobel: «Ihr habt gesagt, ich sei die Nummer 2. Oder?!» Foletti: «Es gibt keine Nummer 2 im Moment.» Kobel: «Okay …» Während der gesamten Unterhaltung schaut Kobel Foletti geradewegs ins Gesicht.

Kurz darauf geht Foletti erneut zu Kobel und sagt: «Vorhin hast du gesagt, du seist doch die Nummer 2 …» Kobel: «Ja?» Foletti: «Das interessiert mich einen Scheiss im Moment!» Kobel: «Das verstehe ich.» Foletti: «Und dich sollte es auch einen Scheissdreck interessieren.» Kobel: «Dass es dich einen Scheissdreck interessiert, ist logisch. Mich interessiert es aber schon. Ist ja klar!» So ist Kobel. Klar, direkt, manchmal unangenehm. Foletti bezeichnet ihre Beziehung als «Hassliebe».

Berater Degen ist sauer

Der aktuelle Anteil an Liebe vonseiten Kobels ist nicht überliefert, umso deutlicher spricht hingegen sein Berater Philipp Degen. Im Interview mit Sky regt er sich darüber auf, dass Yakin schon so früh den Stammgoalie für die anstehende EM auserkoren hat: «Diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt setzt das Leistungsprinzip praktisch ausser Kraft.»

Degen vermutet als Hintergrund einen schon länger kursierenden Vorwurf. Einen, den Hitz in seinem NZZ-Interview schon antönte: «Die Bindung des Goalietrainers zu seiner Nummer 1 war zu eng, von Deutschland her kannte ich das nicht.» Eine Anspielung auf Folettis Aussage vor der EM 2016, Sommer sei wie ein Sohn für ihn. Degen findet: «Das hinterlässt einen sehr, sehr faden Beigeschmack.»

Für Yakin hingegen ist eines der Argumente, dass er während der Qualifikation allen Goalies die Chance geben wollte, sich für den Platz im Tor zu empfehlen. Auch Kobel hätte zwei Gelegenheiten gekriegt, dummerweise fehlte er beide Male wegen Verletzungen.

Es sieht also ganz so aus, als würde sich Kobel noch etwas gedulden müssen. Möglicherweise aber nicht mehr allzu lange. Sommers Leistungen bei Inter Mailand sind zwar hervorragend, Mitte Dezember feierte er aber auch schon seinen 35. Geburtstag. Sollte Kobel sein Niveau halten, könnte die Wachablösung im Schweizer Tor nach der EM vollzogen werden – auch wenn er sich diese etwas früher gewünscht hätte.