Doppelmord in SittenWalliser Polizei gerät wegen Ankündigungsvideo des Täters unter Druck
Der Mörder von Sitten hat vor seiner Tat ein Video aufgenommen und es der Zeitung «Le Nouvelliste» geschickt. Die Justiz dementiert derweil weiter, Probleme mit dem Mann zu wenig ernst genommen zu haben.
Turbulenzen ist man auf einer Zeitungsredaktion gewohnt. Ein Brief brachte die Redaktion der Unterwalliser Zeitung «Le Nouvelliste» am Mittwochmorgen aber aus der Fassung. Geschrieben und abgeschickt hatte ihn Grégoire B. (Name geändert), der Amokläufer, der am frühen Montagmorgen in Sitten eine 34-jährige Frau und einen 41-jährigen Mann erschossen und zwei weitere Personen verletzt hatte und erst acht Stunden nach der Tat von der Polizei gestellt wurde.
Dem Brief lag ein USB-Stick mit einem Video bei. Gemäss dem «Nouvelliste» schrieb Grégoire B.: «Dieses kleine Video habe ich produziert, um zu zeigen, was ich am Montag tue. Ich heisse nicht gut, was passieren wird. (...) Ich bedaure wirklich, es während dieser festlichen Tage tun zu müssen.»
Auf dem Video trage Grégoire B. einen schwarzen Pullover, schreibt «Le Nouvelliste». Während einer Stunde und zwanzig Minuten berichte er auf einem Bett sitzend, dass es eine Person gebe, die seit Jahren Blödsinn über ihn erzähle. Selbst seine Familie tue das inzwischen.
Das gehe jetzt seit 20 Jahren so, aber nun sei der Moment da, in dem er sich unglaublich nerve. «Damit ist jetzt Schluss.» Er plane «das Ding» seit zweieinhalb Jahren, und es gebe «kein Zurück mehr». Die Namen seiner Opfer nennt Grégoire B. im Video diverse Male.
Klage wegen Nötigung
Die Existenz und den Inhalt des Briefs machte «Le Nouvelliste» am Mittwochabend öffentlich. Das Westschweizer Fernsehen RTS bekam das Schreiben ebenfalls und publizierte das Dokument auch, es fehlte im Couvert aber der USB-Stick mit dem Video, weil dieser auf dem Postweg verloren gegangen ist.
Das Video stellt die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft infrage. Aus diesem geht hervor, dass die 34-jährige Walliserin ihren späteren Mörder Grégoire B. wegen Nötigung verklagt hatte. Weil Grégoire B. sich gegen die Vorwürfe wehrte, zog die Frau ihre Strafanzeige dann aber wieder zurück. Ein Zivilgericht entschied jedoch, dass Grégoire B. sich von ihr fernhalten müsse.
Dass die Justiz von Konflikten und Klagen Kenntnis hatte, tönte Oberstaatsanwalt Olivier Elsig am Montag an einer Medienkonferenz an. Obwohl sich die Frau von Grégoire B. belästigt fühlte, stellte Elsig explizit in Abrede, dass es sich um «Stalking» handelte.
Doch der Konflikt zwischen Grégoire B. und seinem späteren Opfer ist nicht kleinzureden. Das geht aus einem zwei Seiten langen Communiqué der Walliser Justiz hervor, das diese unter dem Titel «Lagebericht» praktisch zeitgleich zur Publikation des «Nouvelliste»-Artikels versandte.
Keine Probleme erkannt
Im Communiqué beglückwünscht sich die Polizei nochmals für die Verhaftung des Täters und listet lückenlos sämtliche Strafverfahren auf, die es in den letzten Jahren zwischen Grégoire B. und seinen Opfern gegeben hat. Daraus geht hervor, dass Grégoire B. sein späteres Opfer 2021 erfolglos wegen Ehrverletzung, Drohung, Nötigung und Verleumdung verklagt hat. Scharmützel mit Klagen und Gegenklagen gingen bis in dieses Jahr weiter. Sie zeigen ein Bild, wonach Grégoire B. die Frau erheblich bedrängt haben muss.
Von der Zeitung «Nouvelliste» nochmals auf den Konflikt zwischen Grégoire B. und der getöteten 34-Jährigen angesprochen, verteidigte sich Oberstaatsanwalt Elsig: «Wegen Konflikten zwischen zwei Personen werden im Mittelwallis jedes Jahr Hunderte Strafbefehle und Einstellungsverfügungen ausgestellt. Dieses einzelne Strafverfahren, das infolge einer zurückgezogenen Strafanzeige eingestellt wurde, kann nicht als Indikator für eine Problemsituation angesehen werden.»
Grégoire B. hatte auch mit seinem zweiten Opfer, einem 41-jährigen Walliser, einen Rechtsstreit. Der Mann hatte Grégoire B. wegen Beleidigung, widerrechtlicher Aufzeichnung von Gesprächen und Drohungen verklagt. Im September wurde Grégoire B. zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen das Urteil hat er rekurriert.
Legal Waffen besessen
Bleibt eine entscheidende Frage: Warum durfte Grégoire B. legal zwei Waffen besitzen? «Was den 2017 ausgestellten Waffenerwerbsschein betrifft, so wurden die im Bundesgesetz über Waffen festgelegten Bedingungen eingehalten», hält die Walliser Justiz fest. Der Betreffende habe in seinem Strafregister, abgesehen von einer geringen Geldstrafe auf Bewährung, keine anderen Strafen gehabt, heisst es im Communiqué.
Selbst wenn der Waffenbesitz legal gewesen ist und die Walliser Polizei und Staatsanwaltschaft im Mordfall jede Kritik zurückweist, dürfte es noch eine interne Aufarbeitung geben. Die Staatsanwaltschaft hat am Donnerstagnachmittag nochmals betont, der Täter sei geständig. Die Verhaftung sei so abgelaufen, dass der 36-Jährige aus seinem Auto ausstieg und sich widerstandslos ergab. In ersten Einvernahmen habe er «Erklärungen zu seinem Handeln und seinen Beweggründen abgegeben, die Gegenstand detaillierter Untersuchungen sein werden». Zum Brief an die Medien und das Video äussert sich die Staatsanwaltschaft nicht.
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