Dokumentarfilm «Omegäng»Das grosse Rätseln um ein schweizerdeutsches Wort
Was genau bedeutet «omegäng»? Ein Schweizer Dokumentarfilm ergründet dieses und andere Geheimnisse unserer Mundarten.
Einer der skurrilsten Momente im Film «Omegäng» ist der Kurs Urnerdeutsch für Zugewanderte. «Miär wend äs bitzäli Ürnertytsch leernä, ich wäiss, das isch ganz schwäär …», sagt die Lehrerin zu ihrer Klasse. Als der Schüler Awad Aman aus Eritrea Wörter wie «Spitzbuäbä», «Pfaffähiätli» und «Flygholterä» nachsprechen soll, als die Urschweizer Laute der Lehrerin an die Ohren der ausländischen Schülerinnen und Schüler dringen, machen die Lernenden ein Gesicht, als hätten sie ein unbekanntes Tier vor sich – faszinierend zwar, aber vielleicht auch eines, das sie plötzlich anspringt.
Kurz darauf blickt das Filmpublikum für ein paar Sekunden in einen Abgrund: Um seine vierköpfige Familie aus Eritrea nachzuholen, müsste Awad Aman, der seit fünf Jahren in der Schweiz lebt und in einer Altdorfer Bäckerei arbeitet, gemäss behördlichen Vorgaben monatlich mindestens 5200 Franken netto verdienen. Das ist wohl utopisch. Als er es erzählt, leert sich sein Blick.
Von diesem sozialkritischen Moment abgesehen, bleibt «Omegäng» bei seinem Thema: den Schweizer Dialekten, ihren phonetischen Eigenheiten, ihren unzähligen lexikalischen Kuriositäten. Der Film des Luzerner Regisseurs Aldo Gugolz ist eine Reise durch die realen und dialektalen Landschaften der Schweiz, ein linguistischer Streifzug, auf dem unbekannte und prominente Protagonistinnen und Protagonisten über Sprache im Allgemeinen und ihren eigenen Dialekt im Besonderen reden. Und Mutmassungen darüber anstellen, was wohl das berndeutsche Wort «omegäng» bedeutet. (Mehr: Unser Dialekt-Test weiss, woher Sie stammen)
Der Bauer aus dem Rheintal – grossartig!
Grossartig ist der Auftritt des Bauern Hans Rohner aus dem St. Galler Rheintal. Erstaunt nimmt er zur Kenntnis, dass der Interviewer die Bedeutung des Wortes «Wärchtighääs» zu kennen glaubt – um ihn dann entrüstet zurechtzuweisen: «Nein, ‹Hääs› ist der ganze Anzug, nicht nur das ‹Hemmli›!» Und was ist, fragt Rohner gestikulierend in einem Schuppen voller alter landwirtschaftlicher Geräte, ein «Huotüener»? Jemand, der einen sicherheitshalber spätabends von der Beiz nach Hause begleitet, also «heimtut».
«Omegäng» bedeute «Das ist doch egal», vermutet ein Appenzeller Bauer aus dem Ausserrhodischen, während sich sein Innerrhoder Kollege grinsend dafür entschuldigt, beim Sprechen Wörter und Sätze so spärlich auszustossen, als wären es Gesteinsbrocken. Die Berner Sängerin Alwa Alibi liest poetische Stellen aus ihren Liedtexten vor, doch auf die Frage, was «omegäng» bedeute, antwortet sie trotz ihrer Herkunft: «Weiss ich nicht, nie gehört.»
Ein dialektaler Geniestreich
Franz Hohler rezitiert bei Wind und Wetter in seinem verwunschen wirkenden Garten das «Totemügerli»: «Der Schöppelimunggi u der Houderebäseler si einischt schpät am Abe, wo scho der Schibützu durchs Gochlimoos pfoderet het …» – etwas erwartbar zwar, aber klar, dieser fast ausschliesslich aus erfundenen Wörtern bestehende dialektale Geniestreich darf in einem Film über die Schweiz und ihre Mundarten nicht fehlen. Einige fiktive Wörter aus dem «Totemügerli» seien mittlerweile in den realen berndeutschen Sprachgebrauch übergegangen, erzählt Hohler. Was gebe es für einen Autor Schöneres?
Die Linguisten des Schweizerdeutschen Wörterbuchs «Idiotikon» bei der Arbeit, eine SRF-Radiosendung über Dialekte, die Zürcher Rapperinnen Cachita und Big Zis, ein Nidwaldner Chor beim Üben, der Mundartschriftsteller Pedro Lenz: «Omegäng» wirft ein Schlaglicht auf viele Personen inmitten der weitgefächerten linguistischen Realitäten unseres Landes.
Dass dabei die ländlichen Episoden sprachlich prägnanter wirken als jene aus Bern oder Zürich, liegt wohl in der Natur der Sache. Jedenfalls ist Gugolz ein origineller, subtiler und lehrreicher Dokumentarfilm gelungen. Indem «Omegäng» die Schönheit von Schweizer Mundarten würdigt, indem er der Persönlichkeit ihrer Sprecherinnen und Sprecher nachspürt, zeichnet der Film zugleich ein präzises Porträt der deutschsprachigen Schweiz.
Muss das sein?
Gibt es auch etwas zu kritisieren? Erstens vielleicht, dass eines der linguistisch interessantesten Phänomene der letzten Jahre unerwähnt bleibt: jener von Secondos mit albanischen und ex-jugoslawischen Wurzeln geprägte Soziolekt, der sich auf Pausenplätzen im ganzen Land ein grosses, raues Prestige erworben hat.
Und zweitens pflegt «Omegäng» eine Marotte, der einheimische Dokumentar- und Spielfilmschaffende offenbar kollektiv erlegen sind: Einstellungen, die dem Klischee der Schweiz als Postkartenidyll entgegenwirken sollen, indem sie Tristesse suisse heraufbeschwören. Autobahnzubringer im Nieselregen, Verkehrskreisel in der Dämmerung, mit militärischer Strenge zusammengeschnürte Zeitungsbündel in Oensingen, menschenleere, an gestriegelten Vorgärten entlangführende Quartierstrassen. Und alles unterlegt mit gnadenlos deprogener Musik. Muss das immer wieder sein? Bei einem Film wie «Omegäng» wirkt es besonders aufgesetzt, aber wohlverstanden, mehr als diese zwei Haare treiben nicht in der Suppe.
Und was bedeutet nun «omegäng»? Christoph Landolt, Chefredaktor des «Idiotikons» und selbst Protagonist des Films, schreibt dazu auf Anfrage: «Das Wort ‹omegäng› gibt es nicht.» Im Berndeutschen gebe es «ume» und im Luzernischen «ome», was «nur» bedeute. Und «gäng» als berndeutsches Wort für «immer» ist landesweit bekannt.
Aber die Kombination «omegäng» ist offensichtlich erfunden. Auch dies zeugt vom subtilen Humor des Filmes: Gugolz steigt tief hinab in die Realität der Schweizer Mundarten, aber er lässt alle seine Protagonisten über die Bedeutung eines Wortes philosophieren, das es gar nicht gibt.
Ab 18. April in den Kinos. Für zusätzliche Informationen klicken Sie bitte hier.
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