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Netflix-Doku über Michelle Obama
Diese Frau steht für eine andere Zeit

«Becoming»
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Schon allein dass es diesen Film überhaupt geben kann, ist Donald Trump ein Dorn im Auge. «Obama Netflix?» stammelte er im vergangenen Herbst in einem Tweet. Na ja, irgendwie schon: Sein Vorgänger Barack Obama und seine Frau Michelle haben einen Deal mit Netflix, mit ihrer Firma Higher Ground eine ganze Reihe von Dokumentationen zu produzieren.

Eine davon ist nun für alle Welt zu sehen: «Becoming», benannt nach den Memoiren, mit denen Michelle Obama international über Monate hinweg auf Bestsellerlisten vertreten war, zeigt sie auf der Tour zum Buch. Wie sie auf der Bühne mit unterschiedlichen Moderatoren sitzt und erzählt, worüber sie geschrieben hat, sich in Gesprächsrunden mit Lesern zusammensetzt, im Off ihre Mutter von einer Torte verjagt, die mit ihrem Konterfei verziert ist und sich fragt, wie zum Teufel ihr Gesicht auf diese Torte gekommen ist.

In jeder Szene ist Michelle Obama der Mittelpunkt

Nadia Hellgren führt bei «Becoming» Regie – aber eigentlich inszeniert sie keinen Film, sondern eine Frau. Im Mittelpunkt einer jeden Szene steht immer nur Michelle Obama, egal, ob sie von sich selbst spricht oder junge Leute ermutigt, ihrem Beispiel zu folgen oder schneller als sie zu begreifen, dass nur sie selbst und nicht etwa ambitionierte Ehemänner der Schmied ihres Glückes sind.

Grundsätzlich ist es ja schon eher eigenartig, wenn Leute Filme über sich selbst produzieren. Kritische Porträts braucht man da nicht zu erwarten. Andererseits hat Elton John auch «Rocketman» produziert, und das Ergebnis war trotzdem sehr schön, und man hatte am Ende nicht den Eindruck, er habe den Film nur gemacht, um noch mehr Platten zu verkaufen. Das ist bei «Becoming» ähnlich, man kann ihr keinen Vorwurf daraus machen. Hier werden keine Bücher verkauft, hier wird ein Bild kontrolliert. Und die Sehnsucht, das Bild von sich selbst geradezurücken, kommt nicht von Ungefähr.

Sie hat, erzählt Michelle Obama, erst lernen müssen, dass jeder ihrer Auftritte geplant und durchdacht werden muss. Damals im Wahlkampf 2008 zog sie recht unschuldig los, sprach zu den Menschen und fand dann sehr schnell heraus, dass man sie in den rechtsgerichteten Medien zur Gefahr für die Allgemeinheit stilisieren würde wegen einer Handbewegung, einer geballten Faust. Das waren noch Zeiten, als amerikanische Fernsehmoderatoren die Musse hatten, sich über die ärmellosen Kleider von Michelle Obama auszulassen.

In der Mitte des Films betritt Barack Obama die Bühne

Michelle Obama, geborene Robinson, 56 Jahre alt, Harvard-Anwältin, ist in den USA populärer als jeder Politiker, aber es gibt nicht mehr viel über sie zu erzählen, was man nicht schon an anderer Stelle gehört hat. Die Obamas wurden schon zu Amtszeiten verfilmt, sie waren wie Popstars, und als wolle er das noch einmal betonen, tritt in der Mitte des Films Barack Obama mit auf eine Bühne und sagt, das sei ein wenig so, als wenn JayZ bei einem Beyoncé-Konzert erscheint.

Wir sind ja, antwortet Michelle Obama mit leicht säuerlichem Gesichtsausdruck, nur Menschen.

Geschichten, Anekdoten, Erzählungen, predigt sie ihren Jüngerinnen, erheben den Einzelnen aus der Statistik. Auch das ist etwas, was Michelle Obama selbst längst verinnerlicht hat. Die Statistik birgt die Gefahr der Zuweisung – hochbegabter Sonderfall genauso wie Quotenfrau oder Student, der seinen Platz an der Elite-Uni nur bekommen hat, weil diese dringend noch ein paar schwarze Neuzugänge brauchte, um besser dazustehen.

Viel hinzuzufügen hat der Film dem Buch «Becoming» nicht, das Michelle Obama 2018 veröffentlichte – ausser vielleicht, dass die Zersetzung der Trump-Ära schon ein bisschen weiter fortgeschritten ist, und sie doch sehr die Zähne zusammenbeissen muss, als die Moderatorin Gayle King sie fragt, ob sie immer noch auf jenem denkwürdigen Satz bestehe, den sie den Amerikanern im Wahlkampf von 2016 mit auf den Weg gegeben hat: When they go low, we go high. Wir sind ja, antwortet Michelle Obama mit leicht säuerlichem Gesichtsausdruck, nur Menschen.

Sie lernte, jeden Satz zehnmal umzudrehen, bevor sie ihn sagt

Der Film schafft es nur selten, sein Gewicht aus der Präsenz dieser Frau zu beziehen, die sich auf Buchseiten eben nicht ganz so mitteilt. Irgendwie ist es etwas anderes, sie zu sehen, wenn sie erzählt, wie eine Lehrerin ihr sagte, ihre Ziele seien zu hoch gesteckt, und sie passe nicht nach Princeton. Oder noch einmal diesen unfassbar emotionalen Moment zu sehen, als Barack Obama mit seiner Frau und seinen Töchtern auf die Bühne im Grant Park in Chicago trat, um die Rede nach seinem Wahlsieg zu halten, und die Kamera sich auf das tränenüberströmte Gesicht des damals 67-jährigen Bürgerrechtlers Jesse Jackson richtete, der sich selbst 1984 um die Präsidentschaft beworben hatte.

Nur manchmal blitzt etwas in diesen Bildern und Anekdoten auf, das über das disziplinierte Selbstporträt hinausweist. Wenn es beispielsweise um den Augenblick geht, als sie lernte, jeden Satz, den sie sagt, zehnmal umzudrehen, bevor sie ihn sagt: im Wahlkampf 2008, als sie die Botschaft der Hoffnung, mit der Barack Obama antrat, logisch unterfütterte – doch wenn sie den Status quo kritisierte, warf man Michelle Obama mangelnden Patriotismus vor, die Rechte brandmarkte sie als schwarze Aktivistin, die Amerika hasst. Wie viel Veränderung ist ohne Kritik möglich?

Die Angriffe hat sie überstanden, sie wurde doch eine Lichtgestalt für Millionen Amerikaner. Aber, auch das sieht man in «Becoming»: Sie steht für eine andere Zeit.

Er vermisse es, dass Politik auch Hoffnung vermittle, sagt Stephen Colbert in einem der Bühneninterviews auf der Buchtournee zu Michelle Obama. Aber Hoffnung, dieses We-Shall-Overcome-Credo, mit dem Michelle Obama immer wieder allen erzählt, sie müssten ihr Schicksal selbst definieren, steht dem aktuellen Pandemie- und Verwaltungschaos der USA klein, niedlich und machtlos gegenüber.

Auf Netflix.