Fehlende KriminaldatenbankDie Zürcher Polizei weiss nicht, was die Aargauer Polizei weiss
Mafiosi und andere kriminelle Banden bleiben oft unentdeckt. Schuld daran ist auch der mangelnde Austausch zwischen den Polizeikorps. Die Schweiz tut sich schwer mit einer schnellen Abhilfe.

Es sind drastische Worte, die der oberste Strafverfolger Stefan Blättler wählt: «Wir sind ziemlich blind bei der Erkennung von Zusammenhängen und Mustern der organisierten Kriminalität.» Das sagte der Bundesanwalt in der jüngsten «Samstagsrundschau» von Radio SRF, das hatte er ein halbes Jahr zuvor beim Amtsantritt gesagt, das sagt er eigentlich bei jedem seiner öffentlichen Auftritte. Einer der Hauptgründe ist laut Blättler der fehlende Datenaustausch, in diesem Bereich sei die Schweiz ein Entwicklungsland.
Diese etwas verzweifelt anmutende Analyse könne er gut nachvollziehen, sagt Michael Leupold, Kommandant der Aargauer Kantonspolizei. Er hat mit Blättler, als dieser noch Berner Polizeikommandant war, eng zusammengearbeitet und sich gemeinsam über den mangelnden Austausch unter den Polizeikorps geärgert. Das sei ein Zustand, der allen Grundsätzen einer modernen Polizeiarbeit widerspreche.
Welche Folgen hat dieser Missstand im Polizeialltag? Schon eine Polizeikontrolle könne deswegen gefährlich und ineffizient werden, sagt Leupold. Werde eine verdächtige Person aufgehalten, die nicht international oder national zur Fahndung ausgeschrieben sei, sondern «nur» in einem anderen Kanton straffällig geworden sei, werde es kompliziert. Eine schnelle Abfrage sei nicht möglich, da ein einheitliches kriminalpolizeiliches Informationssystem fehle.

Wolle man diese Information bei einem anderen Polizeikorps einholen, müssten die Polizisten zuerst die Einsatzzentrale anfunken, diese müsse dann Kollegen in möglichst vielen anderen Kantonen anrufen und um Auskunft bitten. Eine halbe Stunde sei so schnell verstrichen, bis die Informationen bei den Polizisten vor Ort seien. «Verdächtige so lange hinzuhalten, ist nicht nur personalintensiv und für Unbescholtene eine Zumutung, sondern auch gefährlich, sollte es sich tatsächlich um einen gewaltbereiten Kriminellen handeln», sagt Leupold.
Bei komplexeren Fällen wie etwa der Cyber- und Strukturkriminalität erschwere der mangelnde Datenfluss eine Lageanalyse in nützlicher Frist. Diese Lücken im Informationsaustausch dürften auch der organisierten Kriminalität wie etwa der Mafia nicht unbekannt sein und ihr Wirken beeinflussen, ist Leupold überzeugt.
Bund will keine zentrale Datenerfassung
Tatsächlich ist der fehlende Datenfluss schon länger erkannt, bereits 2018 forderte die damalige FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger eine zentrale nationale Datenbank oder eine Vernetzungsplattform. Ja, man sei sich der Problematik bewusst, beschied ihr der Bundesrat: Die polizeiliche Informatiklandschaft müsse für die heutigen Herausforderungen fit gemacht werden. Das Heft selber in die Hand nehmen wollte der Bund aber nicht. Eine zentrale Datenerfassung und Bearbeitung stehe auch wegen der kantonalen Polizeihoheit nicht zur Diskussion.
Danach verstrichen drei Jahre, bis die kantonale Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD) im November 2021 schliesslich beschloss, die notwendigen rechtlichen Grundlagen für den Informationsaustausch unter den Kantonen und mit dem Bund zu schaffen. Technisch ist die Sache schon weit fortgeschritten, sagt Markus Röösli, Direktor der damit beauftragten Polizeitechnik und -informatik Schweiz (PTI).
Dass es auf politischer Ebene nicht schneller vorangehe, sei dem Föderalismus geschuldet, betont KKJPD-Präsidentin Karin Kayser. Denn es sei ein neues, gesamtschweizerisches Konkordat vonnöten, und das müsse von allen 26 Kantonen ratifiziert werden. Die Nidwaldner Regierungsrätin geht davon aus, dass dieses frühestens 2026 in Kraft treten könnte.
Waffenregister als positives Beispiel
Wie wichtig eine gute Vernetzung bei der Polizeiarbeit sein kann, zeigt sich bei Waffenhaltern. Bis 2017 liefen die Abfragen über die Waffenregister der einzelnen Kantone. Oft mussten die Informationen per Fax oder Telefon eingeholt werden. Wertvolle Zeit verstrich, wenn etwa ein Einsatz bei häuslicher Gewalt anstand. Seitdem haben die Polizeibehörden ein Instrument, das ihnen die Arbeit erleichtert. Und sicherer macht. Innerhalb von Sekunden spuckt die Onlineabfrage der Waffenregister (OAWR) wertvolle Daten aus: Ist die abgefragte Person im Besitz einer Waffentragbewilligung? Welche Waffen besitzt sie? Um welches Kaliber handelt es sich? Ein gewalttätiger ehemaliger Ehemann kann so im Nu auf Waffen hin geröntgt werden, auch wenn er nicht mehr im gleichen Kanton wie seine einstige Gemahlin wohnt.
Die Datenbank wird intensiv genutzt. Es werden monatlich rund 280’000 Abfragen registriert, das sind täglich weit über 9000 Abfragen, die von den Kantonspolizeien und den Polizeikorps der grösseren Städte eingeholt werden.
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