Kolumne «Miniatur des Alltags»Die weissen Ungeheuer
Sie lauern immer irgendwo, wo ich sie am wenigsten vermute. Und wenn ich sie erst mal entdeckt habe, oder besser gesagt sie mich, ist mein gemütliches Zmittag am See gelaufen.
Mit ihrer maximalen Flügelspannweite von sage und schreibe zwei Metern, den spitzen Zähnen und den starren, kalten Augen sind sie meiner Meinung nach mit Abstand die furchteinflössendsten Bewohner des Zürichsees: die Schwäne.
Zugegebenermassen besitzen Schwäne zwar keine echten Zähne, sondern sogenannte Lamellen, die sich auf der Zunge befinden, doch gefährlich aussehen und wehtun können sie trotzdem. Mit der Angst vor Schwänen bin ich nicht allein, wie mir Google erzählt. Die Angst entstehe meistens nach einem traumatischen Erlebnis mit den Tieren in der Kindheit und könne in seltenen Fällen sogar zu schweren Depressionen führen. Ich bin zum Glück von beidem verschont geblieben, was die Angst jedoch nur unerklärlicher macht für mich.
Es gibt kein traumatisches Erlebnis, an das ich mich erinnern könnte. Meine Theorie ist also, dass nicht ich eine Angst vor Schwänen entwickelt habe, sondern sie eine Abneigung gegenüber mir, was zur Konsequenz hatte, dass ich begann, mich vor ihnen zu fürchten. Egal mit wie vielen Leuten ich am See bin und unabhängig davon, ob ich etwas Essbares in der Hand halte, haben die weissen Tiere mich im Visier. Sie scheinen meine angespannte Aura zu spüren, sich über sie zu freuen. In einem Moment scheint der See schwanenleer, und im nächsten streckt eines der Tiere seinen langen Hals zu mir hinüber und starrt mir in die Seele.
Als ich letztens mit einer Freundin am See meinen Mittag verbrachte, kam eines der Tiere angeschwommen und schnappte nach meinem Sandwich. Ich schrie auf, und während sich meine Freundin ins Fäustchen lachte, verbrachte ich den Rest des Mittags vier Meter vom Ufer entfernt und hoffte, dass meine Aura nicht bis zum Wasser reichte.
Fehler gefunden?Jetzt melden.