Regionalwahlen in IndienDie verwundete Löwin bringt Narendra Modi in Bedrängnis
Bei Wahlen in Westbengalen triumphiert Mamata Banerjee – manche sehen sie schon als zukünftige Premierministerin.
Sie trägt am liebsten einen weissen Sari, ihre Füsse stecken in Flipflops. Mamata Banerjee hat sich das Image einer Strassenkämpferin bewahrt. Und sie bezeichnet sich als Löwin, die keinen Kampf scheut. Je unbezwingbarer der Gegner erscheint, umso mehr legt sie sich ins Zeug. Die Ministerpräsidentin von Westbengalen hat, etwas pathetisch formuliert, gerade den politischen Kampf ihres Lebens ausgefochten. Und sie hat gesiegt.
Am Tag des Triumphs reckte sie zwei Finger in V-Form in die Höhe. Der indische Bundesstaat im Osten, bevölkert von etwa 100 Millionen Menschen, wird weiterhin von Banerjees regionaler Partei regiert werden, dem All India Triamool Congress. Sie hat der Partei des indischen Premiers Narendra Modi damit eine schwere Schlappe zugefügt. Und natürlich nährt das Überlegungen, ob sie der Sieg womöglich zu noch höheren Aufgaben befähigen wird. Lange schon hatte Indien keine Premierministerin mehr.
Ihr Widersacher Modi hatte, zusammen mit Innenminister Amit Shah, alles darangesetzt, die Oppositionshochburg zu erobern. Aber das ist den Hindu-Nationalisten nicht geglückt, trotz aller Wucht, mit der sie in die Wahlschlacht zogen. Es reichte nur für knapp 80 von 294 Sitzen, während sich Banerjee eine Zweidrittelmehrheit sicherte. Gewählt wurde auch in drei anderen Bundesstaaten. In Tamil Nadu und Kerala reichte es für Modis BJP ebenfalls nicht zum Sieg. In Assam konnte sich die Partei dagegen eine weitere Amtszeit sichern.
Zur Ironie der bedeutsamen Episode in Westbengalen gehört es, dass Banerjee vielleicht gerade deshalb so klar triumphierte, weil Modi dem Rennen unbedingt einen nationalen Stempel aufdrücken wollte. Er machte Westbengalen zur Chefsache. Auf einmal sah es so aus, als müsse die Regionalfürstin ihre Heimat gegen Kräfte von aussen verteidigen, was die Bevölkerung stärker hinter Banerjee einte, als es Modis Strategen erwartet hatten.
Banerjee eilt der Ruf voraus, sie könne Riesen zu Fall bringen, so wie sie es 2011 tat, als sie die Kommunisten stürzte, die Westbengalen drei Jahrzehnte lang beherrscht hatten. Damals organisierte sie als Gewerkschaftsanwältin Streiks in den Docks von Kalkutta, führte Frauen an, die gegen Preiserhöhungen demonstrierten. Die Kommunistische Partei, so argumentierte sie, missbrauche ihre Macht gegen die Armen. Deshalb müsse sie fallen.
Und nun? Ist dies der Beginn eines Feldzugs gegen Indiens religiöse Rechte? Manche Kritiker von Modi hoffen darauf. Der Premier wirkt derzeit wenig souverän, was vor allem daran liegt, dass die Corona-Pandemie katastrophal ausser Kontrolle geraten ist und viele Menschen sterben. Kritik wird laut, dass der Premier zu sehr auf den Wahlkampf geachtet habe, riesige Versammlungen zugelassen habe und nicht gegen das Mega-Festival Khumb Mela am Ganges eingeschritten sei – aus Angst, er könne seine religiös orientierten Anhänger verschrecken.
Eine Kämpferin mit Charisma
Allerdings machen Experten auch deutlich, dass die Corona-Krise allein den Sieg Banerjees kaum erkläre. Der Modi-Partei fehlt in diesem Staat die Präsenz an der Basis. Und sie hatte dem Charisma Banerjees, die als einzige Frau einen indischen Bundesstaat regiert und sich als belagerte «Tochter von Bengalen» präsentiert, nicht genug entgegenzusetzen.
Eine Demütigung musste allerdings auch sie verkraften: Die 66-Jährige verlor äusserst knapp das Rennen im eigenen Wahlkreis, ein Ex-Vertrauter, der zur BJP übergelaufen war, jagte ihr den Sitz ab. Ein Dolchstoss, klagen Banerjees Anhänger. Aber sie kann Ministerpräsidentin bleiben, wenn sie bald eine Nachwahl gewinnt – was als sehr wahrscheinlich gilt.
Sie nimmt es mit den Machos auf
Banerjee schreckt nicht davor zurück, Modi frontal zu attackieren, so hat sie ihr Profil als Rebellin geschärft. Nach einem Unfall im März machte sie im Rollstuhl Wahlkampf, präsentierte sich als «verwundete Löwin», die bis zuletzt kämpfen werde gegen die Machos aus der Ferne, Modi und Shah. Ohne Drama kommt indischer Wahlkampf nicht aus, und in diesem Fall hatte Mamata Banerjee das bessere Drehbuch, das ihr auch die Gefolgschaft vieler Frauen sicherte.
Ihr Sieg könnte längerfristig noch von Bedeutung sein, wenn es ihr gelingen sollte, Modis Gegner alle hinter sich zu scharen. Aber bis zur nächsten nationalen Wahl in Indien werden noch drei Jahre verstreichen.
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