Ende des WeltcupwintersDie verrücktesten Geschichten der Skisaison
Es gewinnen Fahrer, die ohne Schnee aufwuchsen und in keinem Kader sind; Roger Federer ist wichtiger als die Siegerin; und ein Bein bricht bei einem Skandalrennen: So war die Weltcupsaison.
Der Skiwinter 2021/22 ist vorbei, die Geschichten sind geschrieben. Eine davon dreht sich um Marco Odermatt, der mit 1639 Punkten überlegen Gesamtweltcupsieger wird, im Weltcup 7-mal gewinnt, 16-mal auf dem Podest steht und beim Olympia-Riesenslalom triumphiert. Eine andere um das Schweizer Team der Alpinen, das in Peking zu den Abräumern gehört, 9 der 15 Medaillen für Swiss Olympic holt, 5 der 7 Goldmedaillen. Eine weitere um Mikaela Shiffrin, die an den Spielen zur tragischen Figur wird, weil sie zu sechs Rennen antritt und keine Medaille holt. Die US-Amerikanerin schlägt danach im Weltcup zu und sichert sich zum vierten Mal den Sieg in der Gesamtwertung. Doch auch die folgenden Geschichten gehörten zu dieser Saison, eher zur skurrilen und unerwarteten Sorte.
Die Erlösung im 144. Anlauf
Gestatten, Priska Nufer – plötzlich Weltcupsiegerin.
Priska wer? 30 ist die Obwaldnerin schon, sie gilt seit Jahren als Platzfahrerin, was nicht unbedingt als Kompliment gemeint ist, weil Platzfahrerinnen die Qualität abgesprochen wird, für Podestplätze infrage zu kommen. Nufer aber zeigt es in Crans-Montana allen, sie gewinnt die zweite Abfahrt vor Sofia Goggia, der Königin der Königsdisziplin. Im 144. Anlauf schafft sie es erstmals unter die Top 3, sie weint, denkt auch daran, was sie hat durchmachen müssen. Da waren die Corona-Erkrankung im Januar, die Nichtselektion für die Olympia-Abfahrt trotz Trainingsbestzeit und vor allem das Pech als steter Begleiter in der Karriere. Teamkollegin Michelle Gisin sagt: «Gab es eine einzige Wolke am Himmel, war Priska stets jene, die genau dann startete, wenn diese Wolke vor der Sonne stand.»
Wenn das Rennen zur Nebensache wird
Mikaela Shiffrin brilliert im ersten Rennen nach ihrem Olympia-Desaster als Zweite, Lara Gut-Behrami wird Dritte, 16 Fahrerinnen erreichen das Ziel auf dem laut diversen Trainern zu anspruchsvollen Super-G-Kurs nicht. Doch darum geht es nicht an diesem sonnigen Samstag Anfang März in Lenzerheide. Denn im Zielraum steht er: Roger Federer. Der Superstar, der fünf Minuten von der Piste entfernt wohnt, scheint ein lebendiges Magnetfeld zu sein. Alle kommen sie zu ihm, Athletinnen, Betreuer, Serviceleute, Helfer. Nicht nur die Schweizerinnen flippen aus, irgendwann traut sich die Hinterletzte, Federer um ein Selfie zu bitten. Es bricht eine seltsame Hektik aus. Die Italienerin Federica Brignone findet trotz gesichertem Disziplinensieg, das Gespräch mit Federer sei das Highlight des Tages gewesen.
Das Skandalrennen von Zagreb
Der Slalom von Zagreb verkommt zur Farce. Die Buckelpiste ist schon nach den Vorfahrern an einigen Stellen gebrochen. Es wird geschaufelt und diskutiert, und nach einem langen Unterbruch wird das Rennen zum Entsetzen vieler tatsächlich fortgesetzt. Weltmeister Sebastian Foss-Solevaag poltert: «Es hat gar keinen Schnee mehr im Steilhang!» Luca Aerni schimpft: «Das ist unfahrbar. Unsere Gesundheit wird aufs Spiel gesetzt.» Mit Nummer 19 erwischt es Victor Muffat-Jeandet, der Franzose bricht sich das Wadenbein – danach wird abgebrochen. Ein paar Tage später schreibt er auf Instagram: «Es bringt mich zum Nachdenken, wenn du mit Nummer 19 schon fast auf Gras fährst.»
Von den Fahrern hagelt es Kritik, Giuliano Razzoli fragt: «Ist das euer Ernst, FIS?» Sogar Markus Waldner, der abwesende Rennchef des Weltverbands, ist ausser sich, er lässt kein gutes Haar an seinen Stellvertretern: «Das war inakzeptabel. Das Rennen hätte nie gestartet werden dürfen.»
Von Plastikmatten zum Weltcupsieg
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Er ist Teil eines verrückten Slalomwinters: Dave Ryding. Schnee kennt er als Bub vor allem aus dem Fernseher, wenn er von der Schule nach Hause eilt, um den Biathletinnen, Skispringern, Langläuferinnen und Skifahrern bei ihrem Tun zuzuschauen. Vor allem Alain Baxter hat es ihm angetan, Brite wie er, einmal Vierter im Ski-Weltcup. Zu den besten 30 wolle er einmal gehören, davon träumt der kleine Dave. Und trainiert wie ein Verrückter. Auf Plastikmatten, die sie im Pendle Ski Club nahe Blackburn auf die braunen Hügel legen, um mit Ski ihre Schwünge darauf zu ziehen. Seit diesem Winter ist Ryding Weltcupsieger. Der erste überhaupt aus seiner Heimat. Und der 35-Jährige hat sich erst noch das beste Rennen für seinen Coup ausgesucht: den Slalom von Kitzbühel. Nirgends gibt es mehr Preisgeld. Mit 110’000 Franken wird Ryding entlöhnt.
Alles, um den Piks zu umgehen
Es ist bemerkenswert, was Urs Kryenbühl und Ralph Weber auf sich nehmen, um die Impfung gegen das Coronavirus zu umgehen. Sie verzichten auf den Speed-Auftakt im kanadischen Lake Louise, weil dort nur geimpfte Athleten zugelassen sind, reisen stattdessen in die USA. Und zwar am 7. November 2021. 25 Tage vor den Rennen in Beaver Creek. Weil ab dem 8. November auch für die Einreise in die USA die Impfung vonnöten ist. Der Plan: Sie wollen sich im Olympia-Center von San Diego fit halten. Doch dort wird ihnen der Zugang verweigert, weshalb Kryenbühl und Weber in Los Angeles am Strand trainieren, zwei Wochen nach ihrer Ankunft dürfen sie in Copper Mountain erstmals auf Schnee.
Das Glück für die beiden: Wegen Schneefalls kann in Lake Louise nur eines statt drei Rennen stattfinden. Die Saison verläuft dann gleichwohl nicht nach ihren Wünschen. Kryenbühl, im Vorjahr die Entdeckung schlechthin in der Abfahrt, erreicht als Bestresultat Rang 16, ehe sich der 28-Jährige Ende Januar bei einem Sturz im Europacup eine schwere Beckenverletzung zuzieht. Weber ist im Weltcup nie besser als 20. Doch der Ostschweizer liegt im Europacup in der Abfahrtswertung in Führung – und hat einen Fixplatz für den kommenden Weltcupwinter auf sicher.
Die Fehde mit Fede
Es ist nicht so, dass es an starken Charakteren mangeln würde im italienischen Team. Im Gegenteil. Es gab in den letzten Wochen Momente, da wünschten sich die Verantwortlichen des nationalen Verbandes Fisi handzahmere Athletinnen. Auslöser einer kleinen Fehde war die Mutter von Fede, von Federica Brignone, Maria Rosa Quario mit Namen, eine Ski-Journalistin und ehemalige Weltcupsiegerin, die noch nie allzu viel hielt von ihr: von Sofia Goggia, vermeintliche Teamkollegin ihrer Tochter. Quario machte nie einen Hehl daraus.
Während der Olympischen Spiele dann machte sie das in der Zeitung «Il Giornale» quasi öffentlich: «Bis gestern dachte ich, dass sie eine menschliche Skifahrerin ist. Doch ich habe mich geirrt», schrieb die 60-Jährige nach Goggias Abfahrtssilber. «Wirkt ein Mensch nicht egozentrisch, wenn er wenige Stunden nach dem Rennen zu Hause anruft, aber nicht, um seine Freude und seinen Stolz zu teilen, sondern um zu erfahren, wie die Reaktionen auf die Medaille waren in Italien?» Auch spielte sie Goggias schwere Knieverletzung herunter, die sie sich beim Super-G in Cortina d’Ampezzo drei Wochen vor den Spielen zugezogen hatte.
Goggia reagierte: «Die Worte von Quario sind nicht nur ein Affront gegen mich, sondern gegen alle, die sich um mich gekümmert haben und es für alle anderen Athletinnen weiter tun. Denn ich, die Ärzte sowie die Trainer wissen genau, wie es um mich wenige Tage vor Olympia stand.» Dass sie in Peking antreten konnte und Silber holte, war ein kleines Ski-Märchen. Die Fisi übrigens griff dann auch noch ein und verlangte, dass die Polemik sofort aufzuhören habe. Seither ist es still geworden in den beiden Lagern. Fragt sich, wie lange das anhält.
Der Polizist schreibt ein Ski-Märchen
Letzten Sommer schiebt Johannes Strolz Dienst auf der Polizeiinspektion in Dornbirn. Er muss arbeiten, sonst wäre das Geld knapp geworden. Ein paar Monate zuvor ist der Österreicher aus den nationalen Kadern gefallen, als 28-Jähriger ist Rang 35 in der Slalom-Weltrangliste den Offiziellen nicht mehr gut genug. Strolz denkt ans Aufhören, aber dann trainiert er auf privater Basis weiter. Servicemann hat er keinen mehr, dennoch qualifiziert er sich für den Weltcup, fällt in den ersten beiden Slaloms aber aus. Dann kommt Adelboden und gemäss eigener Aussage das Rennen seiner letzten Chance. Strolz startet mit Nummer 38 – und gewinnt. Doch im Ski-Märchen folgen weitere Kapitel: 34 Jahre nach Papa Hubert wird er Kombinations-Olympiasieger, er holt auch Gold mit dem Team und Silber im Slalom. Ach ja: Bis zur nächsten österreichischen Kaderselektion im April steht hinter seinem Namen immer noch: «Status: kaderlos».
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