Die unendliche Geschichte des Monster-Damms
Um den grössten Staudamm Afrikas herrscht seit fast zehn Jahren Streit, jetzt scheint ein Kompromiss in Reichweite. Was Sie dazu wissen sollten.
2 Kilometer lang, 145 Meter hoch, 6000 Megawatt Leistung: Rund 5 Milliarden US-Dollar kostet der Grand Ethiopian Renaissance Dam (Gerd), der zukünftig grösste Staudamm Afrikas, welcher derzeit an der äthiopisch-sudanesischen Grenze entsteht. Im Jahr 2011 hat die äthiopische Regierung mit dem Megabauprojekt begonnen. Bis 2022 soll es fertiggestellt sein – fünf Jahre später als geplant.
Bisher führte das Projekt jedoch vor allem zu einem: Streit. Die Anrainerstaaten Äthiopien, Sudan und vor allem Ägypten sind stark vom Nil und dessen Wasser abhängig. Entsprechend gross ist die Angst vor Wasserknappheit und Machtverlust. Ende Januar trafen sich die Delegierten abermals in Washington, um einen endgültigen Kompromiss zu finden. Die USA sind Vermittler im Konflikt.
Wieso streiten sich die Nil-Anrainerstaaten?
Der Nil erstreckt sich über insgesamt elf Länder. Für drei davon, Äthiopien, Ägypten und den Sudan, hat der Fluss eine besonders starke wirtschaftliche Bedeutung. Vor allem Ägypten, geprägt von Wüstenlandschaften und viel Trockenheit, bezieht den grössten Teil seines Wassers für die Landwirtschaft vom Nil. Da dieser von Süden nach Norden fliesst, ist es nicht weiter verwunderlich, dass man am Nildelta argwöhnisch in Richtung der südlich gelegenen äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba blickt.
Worum geht es im Kern?
Ein zentraler Punkt der Streitigkeiten ist die Geschwindigkeit, mit der das riesige Reservoir gefüllt wird. Dieses wird bis zur Fertigstellung etwa 74 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen. Eine zu hohe Füllgeschwindigkeit würde zu Wassereinbussen und Vernichtung von Ackerland führen, so die Sorge der ägyptischen Regierung. Wasserknappheit ist bereits heute ein grosses Problem im Land. Ginge es nach Kairo, geschähe die Füllung innerhalb von 12 bis 21 Jahren und nicht, wie von Äthiopien geplant, innert vier bis sieben Jahren. Keine nennenswerten Erfolge verbuchten die Konfliktparteien bisher vor allem bei vier Fragen:
- Wann muss Äthiopien wie viel Wasser durch den Damm lassen?
- Wie viel während des Aufstauens?
- Wie viel in einem trockenen Jahr?
- Wie viel in einem regenreichen Jahr?
Welche Gefahren drohen Ägypten?
Der arabische Nachrichtensender al-Jazeera hat verschiedene mögliche Szenarien durchgespielt: Würde das Reservoir innerhalb von fünf Jahren gefüllt, senkte sich das Wasservorkommen in Ägypten um 36 Prozent, und die Hälfte des Ackerlandes würde zerstört. Bei einer Fülldauer von zehn Jahren betrügen die Wassereinbussen immer noch 14 Prozent und die Zerstörung des Ackerlandes 18 Prozent, so die Untersuchung des Senders. Treffen diese Prognosen zu, würde sich das Landschaftsbild Ägyptens im Fall einer entsprechenden Entscheidung Äthiopiens drastisch verändern.
Nebst den landschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen droht auch der politische Machtverlust um den für die Anrainerstaaten so zentrale Fluss. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war es zum blutigen Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien gekommen, als man in Kairo befürchtete, der Rivale im Süden wolle den Nil ganz für sich. Im Jahr 1929 gewährte die damalige Kolonialmacht Grossbritannien Ägypten und dem Sudan den Zugang zu einem Grossteil des Nilwassers sowie das Vetorecht auf Bauvorhaben am Fluss. Äthiopien als unabhängiger Staat war nicht Teil dieses Abkommens. 1999 dann unterschrieben die Länder am Nilbecken eine Vereinbarung zur Verwaltung des Nilwassers, von welchem sechs Länder elf Jahre später nichts mehr wissen wollten und ein neues Abkommen anstrebten. Ägypten verweigerte sich dieser Änderung jedoch, weil es befürchtete, seine angeblich historisch legitimierte Kontrolle des Nils zu verlieren. Diese Angst hält bis heute an.
Welche Rolle spielt der Sudan?
Der Sudan steht bei den Streitgesprächen zwischen den Stühlen. Einerseits ist das Land ein direkter Verbündeter von Ägypten. Andererseits unterstützt es das Bauvorhaben, da dieses eine Quelle für erschwingliche Energie sei und die Nilflut regulieren würde.
Wie geht es jetzt weiter?
Der Durchbruch scheint geschafft: Nach vier Tagen der Gespräche in Washington habe man sich auf die den Streit betreffenden Hauptpunkte geeinigt, teilten die Delegierten am 31. Januar gemäss verschiedenen Medienberichten in einem gemeinsamen Statement mit. Das Abkommen müsse noch schriftlich aufgesetzt werden. Bis Ende Februar soll es von allen Parteien unterschrieben werden.
Die Konfliktparteien Äthiopien, Ägypten und der Sudan hatten sich in den vergangenen Jahren immer wieder erfolglos zu Gesprächen getroffen. Ein endgültiges Abkommen war ursprünglich auf den 29. Januar angesetzt worden.
Wie ist das Klima unter den Anrainerstaaten?
Als Äthiopien 2011 noch während des Arabischen Frühlings den Bau des Staudamms bekannt gab, sorgte dies bei den Ägyptern für rote Köpfe. Dort dachte man auch mal laut über Luftangriffe nach, sagte, man halte sich alle Optionen offen, beteuerte jedoch auch, dass man keinen Krieg wolle. 2018 wurde der Chefingenieur und das Gesicht hinter dem Staudammprojekt, Simegnew Bekele, in seinem Auto tot aufgefunden. Die Behörden sprachen damals von Suizid.
Bereits 70 Prozent des Staudamms ist fertiggestellt, ab Ende Dezember sollen die ersten zwei Turbinen Strom produzieren: Die Vollendung des Bauvorhabens wird wohl nicht von einer erfolgreichen Einigung mit den Anrainerstaaten abhängen. Dies gab auch die äthiopische Regierung immer wieder zu verstehen: «Keine Kraft könnte Äthiopien am Bau eines Staudamms hindern. Wenn es notwendig ist, in den Krieg zu ziehen, könnten wir Millionen Menschen darauf vorbereiten. Wenn manche eine Rakete abfeuern, können andere Bomben einsetzen», hiess es vonseiten der Behörden. Das Wort «Krieg» lag also immer wieder auf der Zungenspitze, auf beiden Seiten.
Wieso will Äthiopien diesen Staudamm so dringend?
Rund 75 Millionen Menschen sind nicht am äthiopischen Stromnetz angeschlossen. Das entspricht etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Dort, wo es Strom gibt, fällt er regelmässig aus. Der Staudamm würde etwa 6000 Megawatt Strom produzieren – dies entspricht etwa der Leistung von fünf Atomkraftwerken. Ein von der Regierung postuliertes, zentrales Anliegen ist es also, die Versorgungssicherheit im Land zu gewährleisten und unabhängiger von Rohölimporten zu werden. Wegen der chronischen Devisenknappheit hofft Äthiopien ausserdem, durch den Verkauf von überschüssigem Strom einen Zustupf dazuzuverdienen.
Was sagen Experten zum geplanten Projekt?
Die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Turbinen dürfte um einiges geringer sein. Experten bezeichnen das Projekt als gigantische Hochrisikowette, welche auf einen überdurchschnittlich starken Monsun und viele ausgiebige Regenfälle spekuliert. Als realistisch werden 3000 Megawatt angesehen – rund die Hälfte der von der Regierung angepriesenen Maximalleistung.
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