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Offensive in der Ostukraine
Die ukrainische Armee kommt nur langsam voran

Die Front ist 2000 Kilometer lang: Ukrainische Armee in der Region Charkiw.
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Wer Ansprachen Präsident Wolodimir Selenskis zuhört, könnte meinen, die Befreiung der gesamten Ukraine von russischer Besatzung sei nur noch eine Frage der Zeit. Und es gibt – erst recht nach der erfolgreichen ukrainischen Offensive in der Region Charkiw – aus Kiewer Sicht weitere positive Nachrichten: Russland fällt es nicht nur schwer, zerstörte Technik zu ersetzen, es hat auch personelle Probleme. Weil Präsident Wladimir Putin sich scheut, den Kriegszustand auszurufen, wird auf Zwangsrekrutierung, die Anwerbung von Strafgefangenen durch den Söldnerdienst Wagner oder auf das Versprechen hoher Boni bis hin zur angeblich kostenlosen Wohnung in Moskau zurückgegriffen – offenbar mit wenig Erfolg.

Doch die ukrainische Armee zählte laut dem Londoner Militärforschungsinstitut Rusi bei Kriegsbeginn im Februar auch nur gut 125’000 kampffähige Männer und erlitt ebenfalls hohe Verluste. Oberbefehlshaber Waleri Saluschni gab am 22. August knapp 9000 Tote zu, die echte Zahl könnte deutlich höher sein. Setzt man drei Verletzte für jeden Toten an, gehen auch die ukrainischen Verluste in die Zehntausende.

Russen verlegen Einheiten

Zwar werden Tausende neue ukrainische Soldaten allein in England ausgebildet, doch es ist unwahrscheinlich, dass die Ukrainer auf absehbare Zeit an mehreren Stellen der laut Saluschni 2000 Kilometer langen Front eine Überlegenheit von mindestens drei zu eins herstellen könnten, wie sie gewöhnlich für eine erfolgreiche Offensive nötig ist. Am besten dürften die Chancen der Ukrainer in der Region Cherson stehen. Doch auch dort kommen sie nur zäh voran, denn die Russen haben nicht nur etliche Verteidigungslinien errichtet, sondern auch einige ihrer besten Einheiten dorthin verlegt. Nach Schätzungen sind es bis zu 30'000 Mann.

Noch stärker als Cherson wurden die seit 2014 von Moskau besetzten Marionettenrepubliken in Donezk (DNR) und Luhansk (LNR) zu Festungen ausgebaut. Die Ukrainer zerstörten auch hier mit satellitengesteuerten Raketen aus den USA und Grossbritannien etliche Kommandopunkte und Munitionsdepots. Andererseits ist es für die Russen in LNR und DNR einfach, Nachschub aus Russland zu besorgen.

Das Gleiche gilt für die Krim. Zwar gelang es den Ukrainern, mit einem Raketenangriff Kampfflugzeuge der russischen Schwarzmeerflotte auf dem Flughafen Saky zu zerstören, von dem man nicht geglaubt hatte, dass die Ukrainer ihn erreichen könnten. Doch dies blieb bisher ein Einzelfall.

Siegesgewiss: Präsident Wolodimir Selenski in der befreiten Stadt Isjum.

Die Ukraine fordert seit langem Kampfpanzer der USA oder Deutschlands. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz lehnt die Lieferung von Leopard-2-Panzern mit dem Argument ab, Berlin werde keine Alleingänge unternehmen. Dies könnte sich ändern: Das Pentagon sprach am Montag erstmals davon, dass auch über moderne Kampfpanzer für die Ukraine diskutiert werde.

Kiew möchte von Washington auch ATACMS-Raketen. Diese treffen – anders als die bisher gelieferten Raketen mit einer Maximalreichweite von rund 75 Kilometern – bis zu 300 Kilometer weit. Sie könnten damit nicht nur jede russische Stellung auf der besetzten Krim zerstören, sondern auch Russland selbst treffen. US-Präsident Joe Biden lehnt die Lieferung dieser Systeme bisher ab, um «keinen Dritten Weltkrieg» mit Russland zu provozieren. Einen ukrainischen Angriff auf die Krim zu befördern, die Putin 2014 nach einem gefälschten Referendum zu russischem Territorium erklärt hatte, das könnte Biden als ein Schritt zu weit erscheinen.

«Der Krieg kann Jahre weitergehen»

Der ukrainische Armeechef Saluschni rechnet anders. In einem programmatischen Aufsatz versicherte Saluschni am 7. September, 2023 stehe eine Offensive zur Rückeroberung der Krim an. Dies hänge aber davon ab, dass eine Streitmacht von bis zu zwanzig Brigaden (dies sind in jedem Fall Zehntausende Soldaten) zur Verfügung stehe, die überdies komplett neu mit westlichen Waffen ausgerüstet werden müsse. Und auch nach 2023 folge nur «eine neue Etappe der Konfrontation».

Selbst wenn etwa die Rückeroberung der Krim gelänge, würden die Russen zuvor ihre Schwarzmeerflotte von der Krim in den russischen Schwarzmeerhafen Noworossisk verlegen, so Saluschni. So könne Russland nicht nur weiterhin das Schwarze Meer militärisch kontrollieren, sondern sei mit Raketenangriffen von Kriegsschiffen oder russischen Flugzeugen noch immer in der Lage, Ziele in der gesamten Ukraine «mit Straflosigkeit zu treffen» – eben weil es nicht befürchten müsse, von der Ukraine selbst getroffen zu werden. «Solange diese Situation besteht, kann der Krieg Jahre weitergehen.»