Speed-Rekord in den AchttausendernDie Turbo-Gipfelsammlerin
Neuer Weltrekord: Die Norwegerin Kristin Harila hat alle 14 Achttausender in nur 92 Tagen bestiegen – mit Hilfe von Sherpas, Fixseilen, Flaschensauerstoff und Helikoptern. Nicht nur Experten fragen sich: Was bringen solche Aktionen?
Eislawinen, Steinschlag, durchgehend steile Flanken ohne Rückzugsmöglichkeit: Der K2 gilt als schwierigster Achttausender. Am sogenannten Flaschenhals, einer von brüchigen Eistürmen gesäumten Rinne auf 8100 Metern, scheitern oft auch die besten Profi-Alpinisten. Auf dem zweithöchsten Berg der Welt standen seit der Erstbesteigung im Juli 1954 nur 302 Menschen, unter ihnen waren nur elf Frauen. Nun hat sich eine weitere in die Chronik eingeschrieben: Wie die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila auf Instagram vermeldet, erreichte sie am 27. Juli um 10.45 Uhr Ortszeit den 8611 Meter hohen Gipfel. Begleitet wurde sie ihren Angaben zufolge von Tenjen Sherpa und Nima Rinji Sherpa.
Die Besteigung des K2 allein wäre schon eine beachtliche Leistung, doch die Norwegerin hat zusammen mit ihrem Sherpa-Team einen irren Rekord aufgestellt: Innerhalb von nur drei Monaten und einem Tag hat sie alle 14 Achttausender der Erde bestiegen, Tenjen Sherpa war auf allen Gipfeln dabei.
Die 37-jährige Athletin unterbot damit die bisherige Bestleistung des Nepalesen Nirmal Purja, der im Jahr 2019 alle Achttausender innerhalb einer Saison bewältigt hatte, um vier Monate. Bereits im vergangenen Jahr war Kristin Harila kurz davor gewesen, den Speed-Rekord an den höchsten Bergen der Welt zu knacken, doch die chinesischen Behörden verweigerten wegen der Corona-Pandemie Gipfel-Genehmigungen für den Cho Oyu und den Shishapangma.
Mit dem Helikopter von Basecamp zu Basecamp
Angesichts der körperlichen Leistung, die die ehemalige Profi-Langläuferin bei ihrer Rekordjagd erbracht hat, bleibt einem erst mal die Luft weg. Nach einem Moment des Respekts stellen sich aber einige Fragen. Was soll das? Ging es bei der Aktion immer mit rechten Dingen zu? Und was will die ultrafitte Athletin mit dem Erklimmen der höchsten Berge der Welt in möglichst kurzer Zeit eigentlich zeigen? Harila versteht ihren Achttausender-Rekord auch als feministisches Projekt: «Ich wollte mehr erreichen – und zeigen, dass Frauen genauso stark sind wie Männer», sagte sie im vergangenen Jahr im Interview mit der SZ.
Schon vor dem erfolgreichen Abschluss der Turbo-Gipfelsammelei war in der alpinistischen Szene Kritik an Kristin Harila laut geworden. Denn die Norwegerin griff bei ihrem Rekordversuch auf alle verfügbaren Hilfsmittel zurück, koste es, was es wolle. Sie benutzte Flaschensauerstoff, liess sich mit dem Helikopter von Basecamp zu Basecamp fliegen und wurde von einem sehr großen Sherpa-Team begleitet. Helfer stellten Zelte für sie auf, sicherten die Routen mit Fixseilen, trugen die Ausrüstung für sie und spurten die Aufstiegsrouten - eine anstrengende Arbeit. Wie Bergjournalist Stefan Nestler in seinem Blog berichtet, wurden Sherpas zu diesem Zweck sogar mit dem Helikopter auf den Berg geflogen, um die Spur von oben herab zu präparieren. Zum 8091 Meter hohen Gipfel der Annapurna I. wurde Kristin Harila von sieben Nepalesen begleitet.
Reinhold Messner, der erste Mensch, der auf allen Achttausendern stand, brauchte für die 14 Gipfel 16 Jahre, von 1970 bis 1986. Allerdings war er auch in vielen Bereichen als Pionier unterwegs, und er hatte dabei den Anspruch, im Alpinstil, also ohne grosse Versorgungskette und ohne Fixseile unterwegs zu sein. Harilas Projekt hat damit nur noch wenig zu tun. Auch mit Gerlinde Kaltenbrunner, die alle Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff schaffte, sollte man Kristin Harila nicht vergleichen. «Leider versucht Kristin unter dem für mich fadenscheinigen Deckmantel, Frauen zu inspirieren, eine Leistung zu erbringen, die absurd ist und die die wenigsten korrekt einordnen können», sagte der deutsche Höhenbergsteiger Ralf Dujmovits dem Magazin Alpin.
Harila sieht sich in einer Vorbildrolle für Bergsteigerinnen
Kristin Harila hatte früher mit Bergsteigen wenig am Hut, sie entdeckte diesen Sport erst spät für sich. Sie wuchs in Vadsø auf, einem Ort in Nordnorwegen, auf elf Metern über Meereshöhe. Nach ihrer Karriere als Leistungssportlerin im Langlauf wanderte sie 2015 auf den Gipfel des Kilimandscharo, danach wagte sie sich gleich an den Aconcagua. 2021 bestieg sie den Mount Everest und den Lhotse innerhalb von zwölf Stunden, was keiner Frau vor ihr gelungen war. Beflügelt von dieser Bestleistung versuchte sie 2022 zum ersten Mal, alle Achttausender in einer Saison zu schaffen. Die konditionsstarke Sportlerin sieht sich in einer Vorbildrolle für Bergsteigerinnen. «Ich hoffe, dass das Projekt Mädchen nach mir inspiriert und es ihnen leichter macht», sagte Harila der Nachrichtenagentur AFP. «Sie sehen, dass wir tatsächlich losziehen und Rekorde brechen können.»
Ein Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde wird Kristin Harila sicher sein, den Piolet d'Or, eine Art Nobelpreis der Bergsteigerszene, wird sie mit ihrem Projekt wohl eher nicht gewinnen. Denn die Speed-Besteigung aller Achttausender über die Normalrouten im kommerziellen Expeditionsstil ist keine qualitative Weiterentwicklung des Alpinismus. Es zeigt, was möglich ist, wenn man körperlich fit ist, genug Geld und Helfer hat. Aber ob es ein gutes Signal ist, sich in Zeiten des Klimawandels im Himalaja mit dem Helikopter von Berg zu Berg fliegen zu lassen? Es wirkt ein bisschen so, als würde heute jemand per Elektroauto und Speedboat in 79 Tagen um die Welt reisen, um den historischen Rekord von Phileas Fogg zu brechen.
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