Die Türkei hat eine lange Putschgeschichte
Der Putschversuch von gestern Nacht ist nicht das erste Mal, dass das türkische Militär in die Politik eingreift. Das hat auch mit Kemal Atatürks Erbe zu tun.
Die türkischen Streitkräfte betrachten sich als Garant der laizistischen Ausrichtung der Türkei. Das heisst, sie bestehen auf der Trennung zwischen Religion und Staat, wie sie Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk bei der Bildung der türkischen Republik durchgesetzt hatte.
Um diese Staatsordnung zu sichern, griff das Militär dreimal direkt mit einem Putsch ins politische Geschehen ein. Ein Überblick.
Atatürks Erbe
1960 entmachtete die Armee Ministerpräsident Adnan Menderes, dem islamische Tendenzen und zu grosse Nachgiebigkeit gegenüber den Kurden vorgeworfen wurden. Er hatte die von Atatürk gegründete Partei CHP in die Opposition gedrängt und regierte zunehmend autoritär. Das Militär führte eine neue Verfassung ein, die unter anderem die Gründung von Parteien erleichterte. Putschführer Cemal Gürsel wurde Staatspräsident.
Wegen gewaltsamer Unruhen stürzte die Armee im März 1971 Ministerpräsident Süleyman Demirel und verhängte das Kriegsrecht. Die Neuwahlen 1973 gewann die CHP.
General Kenan Evren
In den Folgejahren lösten sich die CHP und Demirels Gerechtigkeitspartei immer wieder gegenseitig an der Macht ab. Ihre Regierungen amtierten jedoch nie lange. Es kam zu zahlreichen politischen Morden, bis die Armee 1980 erneut eingriff.
General Kenan Evren verbot Parteien und Gewerkschaften und verhängte das Kriegsrecht. Zehntausende wurden aus politischen Gründen verhaftet. Es kam zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen. Die 1982 beschlossene und in einer Volksabstimmung bestätigte Verfassung gilt in den Grundzügen bis heute. Bis 1989 übergab das Militär die Macht schrittweise wieder an Zivilisten, blieb im Hintergrund aber ein politischer Faktor, der in wichtigen politischen Fragen eine Art Vetorecht für sich beanspruchte.
Die AKP und das Militär
Dies zeigte sich 1997, als die Armee den Rücktritt des islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan erzwang, ohne direkt einzugreifen. Zu dessen damaliger Wohlfahrtspartei gehörte auch der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Wohlfahrtspartei wurde 1998 per Gerichtsurteil verboten. Erdogan gründete die AKP, die 2002 an die Regierung kam.
2007 versuchte das Militär die Wahl des AKP-Politiker Abdullah Gül zum Staatspräsidenten zu verhindern. Die Parlamentsneuwahlen gewann jedoch die AKP und setzte Gül als Staatchef durch.
SDA/mch