Flüge mit fast leeren MaschinenDie Swiss zahlt für ihre Kulanz einen hohen Preis
Um das Geschäft anzukurbeln, gab sich die Swiss in der Krise zu grosszügig. Die Kunden nutzten die Regelung aus – bis zu 70 Prozent tauchten nicht zum Flug auf und buchten erst später gratis um. Damit ist jetzt Schluss.
Am 6. März, als sich die Tragweite der Corona-Krise in der Schweiz abzuzeichnen begann, bot die Swiss ihren Passagieren die Möglichkeit einer kostenlosen Umbuchung an. In der allgemeinen Verunsicherung sollten die Kunden wenigstens die Gewissheit haben, dass das Geld nicht verloren wäre, sollten sie die Reise nicht wie geplant antreten können.
Da Fliegen wegen der sich oft ändernden Reisebestimmungen weiterhin nur schwer planbar ist, gilt die flexible Regelung bis heute. Die Swiss hat sie sogar noch ausgeweitet: Passagiere dürfen kostenlos so oft umbuchen, wie sie wollen – unabhängig von der Buchungsklasse. Das dürfte finanziell Sinn ergeben. So kommen immerhin noch ein paar Buchungen rein, die ohne die flexible Handhabung wohl ebenfalls ausbleiben würden.
Allerdings hat die Swiss mit einem Passus der Umbuchungsbestimmungen herbe Verluste eingeflogen: Passagiere konnten ihre Flüge verstreichen lassen, ohne die Swiss zu informieren, und mit dem Ticketcode ohne Aufpreis neu buchen. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie schon eingecheckt hatten oder nicht.
Es geht um Millionen
Und das nutzten die Kunden aus. «Teilweise sind bis zu 70 Prozent der Passagiere nicht zum Flug aufgetaucht», erklärt Michael Trestl, Chef der Swiss-Netzwerkplanung. Allerdings bemerkte man diese sogenannten No-Shows jeweils erst beim Boarding. Um einen kleineren Flieger einzusetzen oder den Flug ganz abzusagen, war es dann zu spät. Also flog die Maschine fast leer, ohne Einnahmen zu generieren. Im Spätsommer habe sich die No-Show-Quote bei 15 bis 20 Prozent eingependelt, sagte Trestl. Das ist immer noch sehr hoch, lag sie doch vor dem Corona-Grounding bei unter 1 Prozent.
Das ist kurios: Monatelang stand die Swiss bei ihren Kunden in der Kritik, weil sie bei der Annullierung von Flügen zu Beginn sehr langsam die Tickets rückerstattete. Nun aber wird die Swiss in einer ähnlichen Frage Opfer ihrer Kulanz.
«Es ging darum, einerseits unseren Kunden entgegenzukommen und andererseits unsere Servicecenter zu entlasten.»
Denn das Ganze kam die Swiss teuer zu stehen. Das zeigt eine Überschlagsrechnung mit konservativen Annahmen: Zwischen der Einführung der No-Show-Regelung Mitte März und Ende August führte die Swiss rund 12’000 Flüge durch, die meisten in Europa. Rechnet man diese Flugbewegungen mit dem kleinsten Jet der Flotte, dem A220-100 mit 125 Sitzen, multipliziert mit einer Auslastung von 50 Prozent, einem Ticketpreis von 50 Franken und einer durchschnittlichen No-Show-Quote von 15 Prozent, kommt man auf fast 6 Millionen Franken.
Stimmen die Annahmen, wären diese 6 Millionen Franken der Wert der Tickets, die ihre Gültigkeit wegen der grosszügigen Kulanzregelung trotz No-Show nicht verloren haben. Der Verlust für die Swiss entsteht indes vor allem dadurch, dass die Lufthansa-Tochter die betreffenden Flüge durchführen musste. Die Verantwortlichen hätten wohl viele davon abgesagt, wenn sie früh genug gewusst hätten, dass ein grosser Teil der Passagiere nicht auftauchen würde.
Plötzlich klappts mit der Digitalisierung
Die Swiss zieht nun die Reissleine: «Seit dem 1. September 2020 müssen Kunden, die den Flug nicht antreten möchten, das Ticket gemäss den gültigen Konditionen annullieren oder umbuchen», erklärt Sprecher Marco Lipp. Ansonsten verfalle das Ticket ersatzlos.
Doch warum hat die Swiss den Passagieren das Fernbleiben ohne Konsequenzen überhaupt erlaubt? Lipp: «Es ging darum, einerseits unseren Kunden entgegenzukommen und andererseits unsere Servicecenter zu entlasten.» Die Servicecenter waren im Frühjahr so überfordert, dass viele Kunden ihren Flug nicht umbuchen konnten, obwohl sie wollten. Diese Personen kamen dann einfach nicht zum Flughafen. Die Swiss hatte gar keine andere Möglichkeit, als die Tickets als weiterhin gültig zu akzeptieren – alles andere wäre ein Skandal gewesen.
Es bleibt jedoch die Frage, ob die extreme Überlastung der Servicecenter nicht hätte verhindert werden können. Die Digitalisierung sollte mittlerweile doch einiges möglich machen. Tatsächlich scheint die Swiss einen gewissen Digitalisierungsstau gehabt zu haben, schreibt sie doch, dass sie nun für weniger komplexe Fälle eine neue Software installiert habe, die einen grossen Teil der Anträge von Endkunden automatisch abarbeiten kann.
Nur noch eine Million Verlust am Tag
Viele Anträge hätten aufgrund ihrer Komplexität jedoch von geschulten Mitarbeitenden manuell bearbeitet werden müssen. Mittlerweile habe die Swiss die Anzahl Angestellter «maximal erhöht», schreibt Sprecher Lipp. Man hat also mehr Leute für die Anfragen, für die man noch Hand anlegen muss. Andererseits gibt es auch deutlich weniger Anfragen: Wie die SonntagsZeitung schrieb, kämpft die Swiss seit Anfang August mit rückläufigem Interesse. In der zweiten Septemberwoche führte sie mit weniger als 800 Flügen nur 25 Prozent der Anzahl Flüge von vor einem Jahr durch. Noch im Frühsommer hatte die Swiss gehofft, dass man zum jetzigen Zeitpunkt 40 Prozent des Vorjahresniveaus ansteuern würde.
Für den Herbst und den Winter rechnet die Swiss denn auch nicht mit einer starken Erholung der Nachfrage, wie Swiss-Netzwerkplaner Trestl sagt. Immerhin hat die Fluggesellschaft die starke Blutung vom Frühjahr ein wenig stoppen können, als man rund 3 Millionen Franken pro Tag verlor. Mittlerweile verliere man noch rund 1 Million am Tag. Der 1,5-Milliarden-Rettungskredit, den der Bund ermöglicht hat, dürfte die Airline also noch eine Weile über Wasser halten.
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