Abstimmung zu FrontexDie SP «spielt mit dem Feuer»
Die Partei versucht den Spagat: Sie sagt zwar Ja zur europäischen Grenzschutzagentur Frontex, bekämpft aber die Frontex-Vorlage. Das könnte mit einem Ausschluss der Schweiz aus dem Schengen-Raum enden.
Die Linke hat am Freitag den Abstimmungskampf zur Frontex-Vorlage eröffnet. Auf dem Spiel steht die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz – und die Lage ist kompliziert: Zum einen gibt es rechte und linke Gegner mit unterschiedlichen Motiven, zum anderen verfolgen innerhalb des linken Lagers nicht alle dasselbe Ziel.
Abgestimmt wird am 15. Mai darüber, ob sich die Schweiz am Ausbau der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex beteiligen soll. Will die Schweiz assoziiertes Schengen-Mitglied bleiben, muss sie das tun. Das Referendum ergriffen hat das Aktivistennetzwerk «Migrant Solidarity Network», das in Frontex ein Symbol für die «Festung Europa» sieht. Die Forderung: Die Schweiz soll Frontex nicht mitfinanzieren. Das Ziel: die Abschaffung von Frontex. «Ich bin ein Gegner von Frontex und setze mich für eine Welt ohne Grenzen ein», sagte Saeed Farkhondeh vor den Medien.
Die SP unterstützt das Referendum – aber weder die Forderung noch das Ziel des Netzwerks. «Frontex ist nicht der Fehler», sagte SP-Ständerat Daniel Jositsch. Der Fehler sei die europäische Asylpolitik. Die SP befürwortet eine stärkere Beteiligung der Schweiz am Schutz der EU-Aussengrenzen. Als Ausgleich soll die Schweiz aber die Resettlement-Quote erhöhen, also zusätzliche Flüchtlingsgruppen aufnehmen. Im Parlament war die SP mit dieser Forderung gescheitert. Nun schwebt ihr vor, dass der Bundesrat dem Parlament bei einem Nein an der Urne eine neue Vorlage mit solchen innenpolitischen Ausgleichsmassnahmen vorlegen könnte.
Einstimmiger Beschluss nötig
Die SP hofft, dass ein Ausschluss der Schweiz aus Schengen verhindert werden kann, wenn der Bundesrat nach einem Nein gleich eine neue Frontex-Vorlage ankündigt. Doch ist das realistisch? Der Ausschluss erfolgt automatisch – es sei denn, die Vertragsparteien einigen sich auf etwas anderes. Der Gemischte Ausschuss mit Vertretern von Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission müsste innerhalb von 90 Tagen einstimmig beschliessen, dass die Schweiz assoziiertes Schengen-Mitglied bleibt.
Astrid Epiney, Europarechtsprofessorin an der Universität Freiburg, hält das nicht für ausgeschlossen. Wenn der Bundesrat klar kommuniziere, dass das Nein eine innenpolitische Frage betreffe und dass die Schweiz die Verordnung übernehmen wolle, sei es durchaus denkbar, dass die Schweiz mehr Zeit erhalte. Epiney sagt aber gleichzeitig: «Es ist ein Spiel mit dem Feuer.» Die EU könnte das Abkommen mit der Schweiz auch suspendieren.
Europarechtsprofessorin Christa Tobler von der Universität Basel geht davon aus, dass die EU ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Schengen-Abkommens hat. Doch es handle sich um eine politische Frage, betont sie, und Politik sei manchmal unwägbar.
Fest steht, dass ein Ausschluss aus Schengen für die Schweiz schwerwiegende Folgen hätte. Weil die Polizeizusammenarbeit nicht mehr möglich wäre, könnte sie zu einer Drehscheibe für Kriminelle werden, sagt Epiney. Ausserdem würde das Dublin-Abkommen nicht mehr angewendet. Damit könnte die Schweiz Asylsuchende, die bereits in einem anderen Land um Asyl ersucht haben, nicht mehr dorthin zurückschicken. Ein Ausschluss aus Schengen könnte laut Epiney den gesamten bilateralen Weg infrage stellen, weil im EU-Recht Schengen, die Personenfreizügigkeit und der Binnenmarktzugang eng verbunden sind.
«Ich fand die Zurückhaltung bei der Unterschriftensammlung gerechtfertigt.»
Manche SP-Vertreter betrachten es deshalb als Fehler, dass sich die SP gegen die Frontex-Vorlage stellt, etwa Rudolf Strahm. SP-Europapolitiker Eric Nussbaumer sagt: «Ich fand die Zurückhaltung bei der Unterschriftensammlung gerechtfertigt.» Die Forderung nach einer Abschaffung von Frontex sei «absurd», die Forderung nach legalen Fluchtwegen hingegen gerechtfertigt. Diese Debatte gebe es auch in der EU. Deshalb sei er zuversichtlich, dass der Ausschluss aus Schengen verhindert werden könne.
Schwierig könnte es allerdings werden, wenn auch die SVP die Nein-Parole fasst. Im Parlament hatte sie der Vorlage mit Enthaltungen zum Durchbruch verholfen. Doch ein Teil der SVP stellt sich dagegen – und zwar mit gänzlich anderen Argumenten: Die Gegner aus dem rechten Lager sagen Nein, weil der finanzielle Beitrag der Schweiz an Frontex steigen würde.
Auch die Grünen lehnen die Beteiligung der Schweiz am Frontex-Ausbau ab. Sie seien für die Abschaffung von Frontex in der heutigen Form, sagte Parteipräsident Balthasar Glättli. Für den Bundesrat dürfte es somit nicht ganz einfach werden, ein Nein an der Urne im Sinne der SP zu interpretieren und sogleich eine neue Vorlage anzukündigen.
Zum Auftakt des Abstimmungskampfes stand freilich etwas anderes im Vordergrund: Die Missstände an den EU-Aussengrenzen. Menschen auf der Flucht würden entrechtet, geprügelt und abgeschoben, kritisiert das «Migrant Solidarity Network». Die Abschottungspolitik der EU habe schon Zehntausende das Leben gekostet.
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