Referendum zu Frontex-BeteiligungDie «Festung Europa» stürzt SVP und Linke ins Dilemma
Soll sich die Schweiz stärker am europäischen Grenzschutz beteiligen oder nicht? Die Frage wirbelt die Haltungen der Parteien gegenüber der EU durcheinander.

SP und Grüne sind für die Zusammenarbeit mit der EU, die SVP ist dagegen – normalerweise. Auf einmal ist alles anders. Beide Seiten müssen sich entscheiden.
Was ist wichtiger: Ein Zeichen gegen die Missstände an den EU-Aussengrenzen zu setzen oder die Zusammenarbeit mit Europa fortzuführen? So lautet die Frage für die Linke.
Für die SVP stellt sich die umgekehrte Frage: Ist ein Zeichen gegen Europa wichtiger als die Abwehr von Migrantinnen und Migranten an der EU-Aussengrenze?
Beide Seiten müssen Antworten finden, weil die Aktivistengruppe Migrant Solidarity Network das Referendum gegen die Frontex-Vorlage ergriffen hat. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex stehe für die «Festung Europa», für Gewalt gegen Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten an den EU-Aussengrenzen, sagt Malek Ossi im Namen des Netzwerks.
Das Schweizer Stimmvolk wird – sofern die Unterschriften zusammenkommen – allerdings nicht über die europäische Grenzschutzagentur als solche abstimmen, sondern über die Beteiligung der Schweiz am geplanten Ausbau. Genauer: über die Frage, ob die Schweiz ihren jährlichen Beitrag von 14 auf 61 Millionen Franken erhöhen und mehr Schweizer Grenzschützer entsenden soll. Bei einem Nein würde die Frontex nicht verschwinden, räumt Malek Ossi ein. Doch: «Es wäre ein starkes Signal gegen Menschenrechtsverletzungen.»
Drohender Ausschluss aus Schengen und Dublin
Bei einem Nein droht der Schweiz jedoch der Ausschluss aus der Schengen- und Dublin-Zusammenarbeit. Eigentlich müsste die Schweiz die entsprechende EU-Verordnung schon bis zum 15. November umgesetzt haben. Die SP, die sonst für die europäische Zusammenarbeit plädiert, unterstützt das Referendum trotz dieser möglichen Folgen – wenn auch eher diskret.
Weniger zurückhaltend haben die Grünen ihre Unterstützung kundgetan – ausgerechnet die Grünen, die soeben eine Volksinitiative für mehr Zusammenarbeit mit der EU angekündigt haben. Die «Festung Europa» dürfe nicht ausgebaut werden, sagt Parteipräsident Balthasar Glättli.
«Es darf keine Solidarität im Unrecht geben.»
Doch wäre die Situation für Flüchtlinge tatsächlich besser, wenn kroatische oder griechische Polizisten ohne Frontex-Beteiligung die jeweiligen Grenzen schützen würden? Und wie steht es um die Solidarität der Schweiz mit den Ländern am Rande der EU? «Es darf keine Solidarität im Unrecht geben», sagt Glättli. Die Frontex sei ein Abwehrprojekt, und das sei grundsätzlich der falsche Ansatz.

Anders als das Migrant Solidarity Network plädiert Glättli nicht dafür, dass sich die Schweiz gänzlich aus der Frontex zurückzieht. «Die Schweiz kann die Frontex nicht abschaffen – aber wir müssen Gegensteuer geben», sagt Glättli. Im Fall eines Abstimmungssieges soll das Parlament erneut über die Vorlage beraten und als Ausgleich für die stärkere Beteiligung an der Frontex zusätzliche Flüchtlingsgruppen im Rahmen eines Resettlement aufnehmen. Diese Idee stand bereits im Parlament zur Diskussion, fand aber keine Mehrheit, wie auch die «Aargauer Zeitung» berichtete.
«Es ist gefährlich, sich mit dem politischen Gegner ins Bett zu legen.»
Zu einer Mehrheit ohne Ausgleichsmassnahmen hat der Vorlage im Parlament die SVP verholfen, die sich anfänglich – wie üblich bei Schengen-Vorlagen – dagegengestellt hatte. In der Schlussabstimmung ermöglichte sie dann aber mit Enthaltungen eine Ja-Mehrheit. Wie sich die SVP im Abstimmungskampf positionieren wird, haben die Parteigremien noch nicht entschieden. Eine Nein-Parole wäre aber schon allein deshalb schwierig, weil SVP-Bundesrat Ueli Maurer für die Vorlage zuständig ist.
SVP-Nationalrat Mauro Tuena geht davon aus, dass die SVP im Ja-Lager sein wird. Zwar sprächen die Kosten für ein Nein, sagt Tuena. Am Ende dürfte der Partei ein guter Schutz der EU-Aussengrenzen aber wichtiger sein. «Ausserdem ist es gefährlich, sich mit dem politischen Gegner ins Bett zu legen.»
«Einen Alleingang der Schweiz im Asylbereich erachten wir nicht als zielführend.»
Unterstützung erhält das Migrant Solidarity Network von vielen kleinen Flüchtlingsorganisationen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) gehört bislang nicht dazu: Entscheiden wird der Vorstand, doch die Geschäftsstelle empfiehlt den Mitgliedsorganisationen, das Referendum nicht zu unterstützen.
«Wir teilen die Kritik an der Grenzschutzagentur zwar», sagt Sprecher Peter Meier. Die massive Aufrüstung der Frontex als Instrument der EU-Abschottungspolitik sei höchst bedenklich und die Massnahmen zum Grundrechtsschutz seien klar unzureichend. Die SFH-Geschäftsstelle möchte aber die Schengen-Dublin-Assoziierung nicht aufs Spiel setzen, denn sie erkenne darin nach wie vor mehr Vor- als Nachteile. «Einen Alleingang der Schweiz im Asylbereich erachten wir nicht als zielführend – auch nicht für den Schutz der Grund- und Menschenrechte.»
EU-Parlament blockiert Gelder
Hoffnungsvoll stimmt die Frontex-Gegner, dass es auch in der EU Widerstand gibt. Das Europaparlament will 90 Millionen Euro aus dem Frontex-Budget für 2022 zurückhalten. Das Geld soll erst dann freigegeben werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Vor allem sollen die vorgesehenen Grundrechtebeobachterinnen und -beobachter endlich eingesetzt werden. Grund für den Entscheid sind Berichte, wonach die Frontex in Pushbacks – illegale Abschiebungen – involviert ist.
Das Migrant Solidarity Network erinnert daran, dass die Frontex mit der libyschen Küstenwache kooperiere, die Boote abfange und gewaltsam zurück nach Libyen schleppe, wo Flüchtlinge und Migrierende mit Gewalt festgehalten würden.
Aus Sicht des Bundesrates trägt die Frontex dazu bei, dass die Grenzkontrollen «möglichst einheitlich, auf hohem Niveau und unter Achtung der Grundrechte vollzogen werden», wie es in der Botschaft heisst. Befürworterinnen und Befürworter der Frontex-Vorlage geben zudem zu bedenken, dass die Schweiz im Frontex-Verwaltungsrat immerhin mitreden könne. Ausserdem spiele die Frontex auch in anderen Bereichen eine wichtige Rolle, etwa bei der Bekämpfung von Drogenhandel und illegaler Fischerei.
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