Italiens Kampf mit VirenDie Seuche mit der Mafia
In Krisenzeiten sind die italienischen Grossclans dem Staat immer einen Schritt voraus. Corona ist da nicht anders, obschon der Lockdown einige Herausforderungen stellt.
Das Glimmen seiner Zigarette in der Nacht hat Cesare Antonio Cordì verraten. Er stand am Fenster, die Polizei schaute ihm aus der Ferne beim Rauchen zu, dann stürmte sie das kleine Haus bei Locri im süditalienischen Kalabrien. Er versuchte noch, durch einen Hinterausgang zu entkommen. Doch das war natürlich verwegen, die Carabinieri waren überall. Cordì, 42 Jahre alt, ist der erste Boss der ’Ndrangheta, dem Corona zum Verhängnis wurde. Nicht etwa, weil er sich mit dem Virus angesteckt hätte: Sein Versteck flog auf.
Auf Patrouille fiel der Polizei ein Wagen auf, der zu diesem baufälligen Haus auf dem Land fuhr, in dem vermeintlich schon lange niemand mehr lebte. Es war der Kurier des Clans, allein auf weiter Flur, alle anderen Bürger in der Gegend befolgten die Verordnung der Regierung und blieben zu Hause. Er brachte dem Boss das Essen, gab bei der Kontrolle aber vor, er helfe einem bedürftigen Freund. Die Polizei schöpfte Verdacht und wartete, bis es Nacht war und die Spitze der Zigarette aufleuchtete.
Opfer von Kredithaien
Cordì ist ein illustrer Fang, ein grosser Fisch. Und seine Festnahme ist ein dummer Unfall für die kalabrische Mafia. Denn Krisen sind die beste Zeit für das organisierte Verbrechen. Je grösser das Chaos ist, je strapazierter und abgelenkter der Staat, desto einfacher fällt es ihr, sich zu entfalten, sich noch tiefer in die Gesellschaft und in die legale Wirtschaft zu fressen. Der Justizbetrieb liegt lahm, die Medien schauen nur auf das Virus. Und so warnen nun Experten, Staatsanwälte und Mafiajäger im Chor davor, die Clans aus den Augen zu verlieren. Hilft der Staat nämlich den kleinen und mittleren Unternehmen im Süden nicht schnell mit Subventionen und die Banken mit Krediten, schaltet sich die Mafia dazwischen und vergibt Kredite zu Wucherzinsen, kauft sich in Firmen ein mit ihrem schmutzigen Geld, bis sie ihnen ganz gehören. Es ist ein altbekanntes Schema, es wiederholt sich nun in jeder Wirtschaftskrise und nach jeder grossen Naturkatastrophe.
In Italien kennt man das Vorgehen als «Messina-Denaro-Methode», benannt nach Matteo Messina Denaro, dem seit 1993 flüchtigen, mutmasslichen Oberboss der sizilianischen Cosa Nostra aus Castelvetrano. Er fordert von den Unternehmern und Restaurantbesitzern nicht den «Pizzo», das Schutzgeld, wie das die Mafia früher immer und überall tat. Sondern er zwingt ihnen in der Not Geld aus trüben Geschäften auf, um es reinzuwaschen. Die Mafia ist immer liquid.
«Die kriminellen Organisationen sind wie die Börse: Sie antizipieren.»
Der Erste, der Alarm schlug, war Roberto Saviano, der Autor von «Gomorrha», dem Weltbestseller über die neapolitanische Camorra. «Die kriminellen Organisationen sind wie die Börse: Sie antizipieren», schrieb er in einem Artikel in der Zeitung «La Repubblica». Sie riechen die Geschäfte vor allen anderen, etwa das Business mit den Schutzmasken, die Mafia habe grosse Mengen billigster Ware erworben und bringe sie teuer auf den Markt.
Corona macht den Drogenhandel komplizierter, aber nicht unmöglich. Bevor halb Europa in die Zwangsquarantäne geschickt wurde, schreibt Saviano, habe die Mafia ihre alten Drogenbestände abgesetzt, die Nachfrage sei gross gewesen, der Preis hoch. Und jetzt, wo die üblichen Handelsplätze verwaist sind? Die Dealer mischen sich offenbar unter die Leute in den Warteschlangen vor den Lebensmittelläden, oder sie geben sich als Mitarbeiter von Kurierdiensten aus. So kommt der Stoff trotz allem zu den Kunden.
Die Häfen sind offen
Das Kokain aus Südamerika gelange wie gehabt über die Häfen von Gioia Tauro in Kalabrien, über spanische sowie über jene von Rotterdam und Antwerpen nach Europa, sagt Federico Cafiero De Raho, Chef der nationalen Anti-Mafia-Behörde. «Es ist jetzt noch einfacher geworden, grosse Mengen nach Europa zu schmuggeln, weil die ganze Aufmerksamkeit der Zollbeamten dem Import von Schutzmasken und Medizingeräten gehört.» In normaleren Zeiten werden immer wieder tonnenweise Kokain beschlagnahmt, im Moment aber gar nichts. «Es ist offensichtlich, dass etwas nicht stimmt», sagt Cafiero De Raho. Es gebe auch bei den Zollbehörden immer Leute, die für ein Entgelt beide Augen zudrückten – gerade jetzt, wo alle um ihre Jobs bangten.
Nino Di Matteo, der frühere Staatsanwalt von Palermo, ruft den italienischen Staat und die Europäische Union dazu auf, vor allem in der Phase des Wiederaufbaus ganz genau hinzuschauen. «Die Mafia wird alles daran setzen, einen möglichst grossen Teil der staatlichen Zuschüsse abzufangen, die nun gesprochen werden, und sich dafür an Politiker und Beamte wenden.» Mafia und Korruption, das seien nun mal die zwei Seiten derselben Medaille.
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