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Massnahmengegner nach Abstimmung
«Die Schweiz ist auf dem Weg in die Hölle!» – «Wollen Sie noch Salat?»

Applaus, und dann kommen die ersten Hochrechnungen: Grillfest mit der Organisation Mass-voll und deren Präsident Nicolas Rimoldi, 
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Unterwegs mit einer Gruppe von Gegnern des Covid-19-Gesetzes, auf einem Waldweg im Berner Oberland. Eine halbe Stunde dauert es noch, bis die ersten Hochrechnungen eintreffen, und die Erwartungen sind gedämpft. «Es wird wahrscheinlich wieder nicht reichen», sagt ein junger Mann im violetten Shirt der Mass-voll-Bewegung, und eine ältere Frau meint: «Warum merken so viele nicht, dass sie auf einer Bühne stehen, als Darsteller in einem undurchsichtigen Stück?»

Später, auf einer Lichtung mit Grillplatz an der Kander, wo Kritikerinnen und Kritiker der Covid-Massnahmen sich zum Abstimmungssonntag versammelt haben. Der studierte Theologe und Mass-voll-Aktivist Michael Sölch, der im Oktober für die Bewegung und den Kanton Bern in den Nationalrat will, singt ein «Freiheitslied» mit Strophen wie: «Uf dä Bärge uf dä Mattä / si mir freii Schwiizer gärn / Und mir lönd üs nöd beschattä / vom Überwachigsstaat in Bärn / Uf em höchä freie Grat / bruucht es keis Zertifikat.»

Die Brandrede folgt später

Gelächter, Applaus, und dann kommen die ersten Hochrechnungen. Es hat wieder nicht gereicht, zum dritten Mal hat die massnahmenkritische Bewegung ein Referendum verloren. Fast alle der rund dreissig Anwesenden, die man darauf anspricht, sagen, sie seien zwar enttäuscht, hätten aber mit einer Niederlage gerechnet. Und immerhin gegen 40 Prozent Zustimmung – das sei keine verschwindende, sondern eine bedeutende Minderheit.

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Es gibt keinen Aufschrei am Grillplatz, niemand hält eine Brandrede – zumindest vorerst nicht. Man sitzt zusammen, trinkt Bier und schaut nach den Würsten auf dem Feuer. 

«Ich dachte halt, es würden viel mehr Leute kommen», sagt eine Teilnehmerin: Grillfest der Massnahmengegner im Berner Oberland. 

Nicolas Rimoldi, der Präsident von Mass-voll und Co-Präsident des Referendumskomitees, sieht etwas exotisch aus hier im grünen Wald, mit seinem engen violetten Anzug, den violetten Turnschuhen und der Zigarre Marke Camacho, die er raucht. Rimoldi sagt, die drei Abstimmungsniederlagen seien zustande gekommen, weil der Staat die Bevölkerung erpresst und bedroht habe, weil er sie belogen und genötigt habe – und weil sich eine Mehrheit davon habe einschüchtern lassen.

«Wir geben jetzt trotzdem Vollgas, um möglichst viele Mitglieder von Mass-voll in den Nationalrat zu bringen.»

Nicolas Rimoldi, Präsident Mass-voll

Letztlich seien die Ergebnisse deshalb illegitim. «Aber wir geben jetzt trotzdem Vollgas», sagt Rimoldi. «Um möglichst viele Mitglieder von Mass-voll in den Nationalrat zu bringen. Und beim Kampf für die Souveränitätsinitiative.» Das Begehren will verhindern, dass die Schweiz völkerrechtliche Verträge wie den Pandemiepakt der WHO unterzeichnet.

Der St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann ist nur kurz an den Ufern der Kander erschienen, er müsse gleich weiter nach Bern. Würde eine linke Partei oder Bewegung dreimal zum selben Thema ein Referendum ergreifen – wäre er nicht der Erste, der von Zwängerei, Sturheit und Verschleuderung von Steuergeldern spräche? Reimann schwankt etwas mit dem Oberkörper, wie um zu sagen: Ja, kann man vielleicht so sehen. Aber dann sagt er: «Ich finde es gut, dass nochmals darüber diskutiert wurde. Und es war der Widerstand gegen die Massnahmen, der in der Schweiz Schlimmeres verhindert hat.»

Sind die Medien schuld?

Auf die Frage, wie er sich die erneute Niederlage erkläre, deutet ein Mann, der sich als «Mike, Architekt ETH», vorstellt, auf den Slogan auf seinem T-Shirt: «The media is the virus.» Eine Gruppe junger Aktivistinnen und Aktivisten steht zusammen, es fallen Sätze wie: «Sie haben es noch immer nicht gemerkt, aber irgendwann wachen sie auf.» Oder: «Sie haben uns als Schwurbler diffamiert, und jetzt haben wir in allen Punkten recht bekommen. Das kann die Gegenseite einfach nicht zugeben, schon aus psychologischen Gründen nicht.» Eine junge Frau sagt, sie sei Mass-voll beigetreten, nachdem sie die Impfung verweigert und man sie bei der Swiss entlassen habe. Auch wenn die Corona-Krise vorbei sei – man müsse wachsam bleiben.

«Die direkte Demokratie ist etwas unfair», sagt Roland Bühlmann, Co-Präsident der Freunde der Verfassung. 

Gegen das Covid-19-Gesetz haben neben der Organisation Mass-voll auch die Freunde der Verfassung gekämpft. Deren Co-Präsident Roland Bühlmann betont, wie stabil der Anteil der massnahmenkritischen Bevölkerung über die drei Abstimmungen geblieben sei. «Die direkte Demokratie ist schön, aber sie ist auch etwas unfair», sagt er und deutet in die Runde. «Die Leute hier haben in ihrer Freizeit gegen den ganzen Medien- und Politikbetrieb gekämpft.»

Der Berner Nationalratskandidat Sölch singt jetzt Lieder von Mani Matter, aber mit verändertem Text: «Dene wo chrank si, giengs besser, giengs dene besser, wo gsund si.» Daniel Stricker, Corona-Massnahmen-Gegner und Youtuber, trägt ein graues Shirt, eine Sonnenbrille mit runden Gläsern und igelmässig hochgegelte Haare. Sein Ostschweizer Dialekt verschafft ihm hier ein Alleinstellungsmerkmal. Er sagt, er lasse sich nur mit einem Satz in der Mainstreampresse zitieren: «Diese Musik ist grässlich – absolut daneben bei einem solchen Anlass.»

«Die freie Schweiz ist am Sterben.»

Nicolas Rimoldi, Präsident von Mass-voll

Dann tritt Rimoldi in die Mitte des Grillplatzes, um doch noch etwas revolutionäres Pathos zu verbreiten. «Die Schweiz ist auf dem Weg in eine dystopische Hölle. Die freie Schweiz ist am Sterben. Wir sind die letzte Chance, um den weltweiten ‹grossen Reset› zu verhindern», sagt er – ein Ausdruck für angebliche Umsturzpläne einer finsteren Macht- und Finanzelite. Es sei notwendig, sagt Rimoldi, Tag und Nacht zu kämpfen und auf vieles zu verzichten. Aber irgendwann werde die freie Schweiz auferstehen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer rufen «Liberté! Liberté!»

«Wollen Sie noch etwas Salat?», fragt eine ältere nette Dame, die sich zuvor als Naturheiltherapeutin vorgestellt hat. Sie habe viel zu viel davon gemacht. «Ich dachte halt, es würden viel mehr Leute kommen.»