Botschafter in Deutschland wehrt sichDie Schweiz, eine willige Kremlhelferin? «Falsch und haltlos»
Auf die Schweiz könne sich Putin noch immer verlassen, schrieb ein «Spiegel»-Kolumnist. Der Schweizer Botschafter in Berlin hält nun eine flammende Gegenrede.
Er nehme seinen Job ernst, sich selber dagegen nicht, sagt der erfahrene Schweizer Diplomat Paul Seger über sich: «Und ich mache gerne gelegentlich einen schrägen Spruch.» Das helfe auch diplomatisch, schwierige Situationen zu entspannen.
In einer solchen steckt der 64-Jährige, der seit 2018 die Eidgenossenschaft in Berlin vertritt. Denn viele im nördlichen Nachbarland verstehen nicht, weshalb sich die Schweiz so zurückhaltend verhält bei der Unterstützung der Ukraine. Im deutschen Nachrichtenmagazin «Spiegel» liess sich Autor Michael Sauga in einer Kolumne (Text hinter der Bezahlschranke) darüber aus, dass sich Putin weiterhin auf die Schweiz verlassen könne: «Sie trägt die Sanktionen gegen Moskau nur halbherzig mit, will keine Munition an die Ukraine liefern und hilft beim Verschleiern von Besitzverhältnissen: So wird die Schweiz zum willigen Helfer des Kreml.»
Die Gegenrede von Botschafter Seger
Wenn es einen westlichen Staat gebe, der den Idealen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer weitgehend entspreche, dann sei es die Schweiz: «In der Tat bedroht die Zeitenwende des Ukraine-Krieges das eingeführte Geschäftsmodell, sich als verschwiegenes Geldanlageparadies für die Diktatoren und Oligarchen dieser Welt zu empfehlen.»
Das war dann doch zu viel für den Botschafter. Seger schrieb eine Gegenrede, die der «Spiegel» jetzt veröffentlicht hat (Text hinter der Bezahlschranke). Viele der Aussagen seien schlicht falsch und haltlos. Er ruft in Erinnerung, dass die Schweiz ein neutraler Staat sei, aber kein willfähriger: «Auch als neutrales Land ergreift die Schweiz Partei für das Recht und gegen das Unrecht.» Die Schweiz habe sich von Anfang an auf die Seite des Völkerrechts gestellt und die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine auf Schärfste verurteilt.
Punkt für Punkt versucht Seger, die Anschuldigungen zu entkräften:
Die Schweiz trägt die Sanktionen nur halbherzig mit. Seger ruft in seinem Beitrag in Erinnerung, dass sich die Schweiz bereits vier Tage nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine den ersten Sanktionspaketen der EU angeschlossen habe. Zudem habe sie seither alle weiteren Sanktionspakete übernommen.
Sie will keine Munition an die Ukraine liefern. Das aktuelle Verbot der Wiederausfuhr in Kriegsgebiete beruhe auf einer formell-gesetzlichen Grundlage, welche seine Regierung binde, entgegnet Seger. Eine Diskussion im Parlament über eine Lockerung dieser Vorschrift finde statt.
Die Schweiz hilft beim Verschleiern von Besitzverhältnissen. Diese Klarstellung liege ihm besonders am Herzen, betont der Schweizer Botschafter: Die Schweiz sei längst kein «verschwiegenes Geldanlageparadies» mehr, wie oft kolportiert werde. Sie setze vielmehr die internationalen Standards zum Informationsaustausch in Steuersachen und zur Bekämpfung von Geldwäscherei, Terrorismusfinanzierung und Korruption entschlossen um. Dies werde von den zuständigen internationalen Organisationen wie dem Global Forum oder der OECD anerkannt. Die Schweiz habe alle Länderprüfungen bestanden.
«In einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, sind Solidarität und europäisches Zusammenstehen gefragt.»
Kein Land sei perfekt, betont Seger am Schluss seines Beitrags dann wieder ganz diplomatisch: «Und ich würde dies auch für die Schweiz nicht in Anspruch nehmen wollen.» Aber Generalverdachte und Anschuldigungen, die auf längst überholten Tatsachen beruhten, würden weder der Schweiz noch der Komplexität der internationalen Politik gerecht: «In einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, sind Solidarität und europäisches Zusammenstehen gefragt.» Gegenseitige Schuldzuweisungen würden nur jenen in die Hände spielen, die Europa verunsichern und teilen wollten.
Die Neutralität hat in Deutschland einen schweren Stand
Schweizer Ohren mag die Verteidigungsrede des Schweizer Botschafters gefallen, viele Deutsche wird Paul Seger damit vermutlich nicht überzeugen. Die Ansicht des «Spiegel»-Kolumnisten teilen viele Deutsche. Die Neutralität versteht in Deutschland derzeit fast niemand. Insbesondere der Ärger, dass die Schweiz es Nato-Ländern verbietet, Schweizer Munition und Waffen in die Ukraine weiterzugeben, ist gross und hält an.
Daraus erwachsen wiederum Vorbehalte, die man in der Schweiz zuletzt überwunden glaubte: wie die vom Oligarchenparadies und der Steueroase. Aus deutscher Sicht steht die Solidarität der Schweiz – und damit ihr Ruf – seit Beginn des Krieges in der Ukraine infrage wie seit langem nicht mehr. Und zwar nicht nur im «Spiegel». Darum – wie zuvor in der Aufarbeitung des Verhaltens im Zweiten Weltkrieg – ertönt nun plötzlich wieder der böse Vorwurf, die Schweiz sei eine «Kriegsgewinnlerin» oder «willige Helferin»: diesmal nicht Hitlers, sondern Putins.
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