Krieg im JemenDie Schlacht der Entscheidung naht
US-Präsident Joe Biden will den Bürgerkrieg stoppen. Doch die Huthi haben eine Grossoffensive gestartet, die das Leid der Vertriebenen noch verschärfen könnte. Es geht ihnen vor allem ums Öl.
Männer in blauen Paradeuniformen tragen Särge durch die Altstadt von Sanaa. Auf den Stirnseiten sind die Porträts junger Männer zu sehen, gefallen im Gefecht. Es sind Kämpfer der Ansar Allah, wie sich die vom Iran unterstützten Huthi-Milizen selbst nennen. US-Präsident Joe Biden hat ein Ende des Krieges im Jemen gefordert. Er hat Saudiarabien die Unterstützung für offensive Militäroperationen dort entzogen, Waffenlieferungen an das Königreich gestoppt und die Huthi von der Terrorliste gestrichen.
Doch das ärmste Land der arabischen Welt erlebt gerade die schwersten Kämpfe seit der Schlacht um Hodeidah im Jahr 2018: Hunderte Tote auf beiden Seiten seit Anfang Februar.
Huthi kämpfen um Öl und Gas
Die Huthi stossen von Westen her mit schweren Waffen in die Provinz Marib vor, wo Öl und Gas des Jemen liegen. Bis auf 25 Kilometer sind sie an die gleichnamige Provinzhauptstadt herangerückt, trotz massiver Luftangriffe der von Saudiarabien geführten Militärkoalition. Marib ist die letzte Hochburg der international anerkannten Regierung von Präsident Abd Rabbuh Mansur al-Hadi im Norden und von enormer strategischer Bedeutung – hier verläuft die letzte verbliebene Strasse auf Regierungsgebiet nach Saudiarabien.
Mit ihrer Grossoffensive wollen die Huthi nach Bidens Abkehr von Riad den Bürgerkrieg militärisch für sich entscheiden, den sie im September 2014 mit der Erstürmung Sanaas losgetreten haben. Oder zumindest einen Waffenstillstand zu ihren Bedingungen erreichen: Sie verlangen ein Ende aller Luftangriffe der Militärkoalition und dass diese die Öffnung des Flughafens der Hauptstadt zulässt sowie die Blockade des Hafens von Hodeidah am Roten Meer beendet. Das käme einer Anerkennung der Huthi als De-facto-Regierung im Norden des Jemen gleich, wo ein Grossteil der auf 30 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung lebt.
Der UNO-Sondergesandte Martin Griffiths warnte jüngst im Sicherheitsrat, die Versuche, gewaltsam Gebiete zu erobern, gefährdeten jegliche Perspektiven des ohnehin am Boden liegenden Friedensprozesses. Schlimmer noch, die neuen Kämpfe könnten eine Hungersnot ungekannten Ausmasses auslösen und Millionen in die Flucht treiben. Marib war bis zu einem ersten Angriff der Huthi vor einem Jahr weitgehend vom Krieg verschont geblieben und bot vielen Jemeniten aus umkämpften Gebieten Zuflucht – geschätzt mehr als 2,5 Millionen Menschen.
Die meisten Binnenvertriebenen leben in Lagern um die Provinzhauptstadt, die nun in die Schusslinie geraten. Östlich von Marib liegen zudem eine Raffinerie und eine Anlage, in der Gas verflüssigt und in Flaschen abgefüllt wird. Zwar spielen die jemenitischen Ölvorräte international keine Rolle, die Raffinerie liefert aber etwa ein Zehntel des inländischen Bedarfs an Benzin.
Wegen der Blockade des Hafens von Hodeidah durch Saudiarabien ist vor allem in den von den Huthi kontrollierten Gebieten Brennstoff extrem knapp und teuer. Darunter leiden gerade die Ärmsten, denn Trinkwasser muss meist mit Dieselpumpen aus Grundwasser gepumpt werden – und dafür müssen die Menschen bezahlen, ebenso wie für Lebensmittel, die zu 90 Prozent importiert werden müssen.
Neun von zehn Gasflaschen im Jemen stammen aus der Fabrik in Safer – in vielen Haushalten sind sie die einzige Energiequelle, die einzige Möglichkeit, warme Mahlzeiten zuzubereiten oder Wasser zu kochen. Sollten die Anlagen bei Kämpfen zerstört oder von Regierungstruppen unbrauchbar gemacht werden, damit die Huthi keinen Gewinn daraus schlagen können, würde das die schon katastrophale Lage der Menschen weiter verschärfen. Derzeit sind laut den Vereinten Nationen 24,1 Millionen Jemeniten auf humanitäre Hilfslieferungen angewiesen, 16,2 Millionen leiden Hunger.
Sollten die Gefechte um Marib weiter eskalieren, dürften bald auch an anderen Fronten Kämpfe ausbrechen. Kommandanten auf der Regierungsseite wollen den Waffenstillstand für Hodeidah aufkündigen, die Huthi müssten Truppen aus Marib zur Verteidigung abziehen. Mit dem Hafen von Hodeidah würden sie eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen verlieren. Zugleich würde aber wohl die Versorgung im Norden des Landes kollabieren.
«Das grösste Hindernis für den Frieden»
Derzeit sondiert der US-Sondergesandte Tim Lenderking in der Region Auswege. Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten auf die Huthi begrenzt, solange der Iran ihnen die Unterstützung nicht entzieht. «Die sind gerade sehr siegessicher und das grösste Hindernis für Frieden», sagte ein mit der Situation vertrauter europäischer Diplomat. Ihre Gefallenen bejubeln sie in Sanaa als Märtyrer – und rekrutieren noch mehr junge Männer.
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