Drama um Atalantas HeldDie rätselhafte Geschichte von Josip Ilicic
Der slowenische Stürmer ist der wichtigste Spieler von Atalanta Bergamo. Während des Lockdowns blieb er in der norditalienischen Stadt – dies setzte ihm psychisch so stark zu, dass er vorerst nicht mehr Fussball spielen kann.
In Bergamo nennen sie ihn «la nonna», Grossmutter, und das ist schon mal verwunderlich für einen Fussballstar im Zenit seines Könnens, der sich an guten Tagen zu Weltformat hochschwingt: mit schnellen Dribblings und kraftvollen Sturmläufen. Josip Ilicic, 32 Jahre alt, ein stiller und zurückhaltender Slowene mit bosnischen Wurzeln, hat die Angewohnheit, sich immer Sorgen zu machen und sich die Sorgen aller anzuhören. Wie eine Grossmutter eben, finden seine Kameraden von Atalanta Bergamo. Der Spitzname wirkte bisher wie ein ironischer Scherz. Nun aber macht es den Anschein, dass diese Melancholie in seinen Augen einen «dunklen Schmerz» spiegelt, wie es «La Repubblica» schreibt.
Zum Abschluss der Meisterschaft der Serie A, die dem kleinen und grossartigen Atalanta von Trainer Gian Piero Gasperini am Ende hinter Meister Juventus und Inter Mailand den dritten Rang eintrug, und vor der Verlegung des Betriebs nach Lissabon, wo die Bergamasken doch tatsächlich das Turnier der Final Eight in der Champions League spielen werden, reden sie in Italien vor allem über die rätselhafte Geschichte von Josip Ilicic. Er ist nicht verletzt, nicht im klassischen Sinn. Der Verein sagt nicht viel, um ihn zu schützen, nur: «Wir stehen ihm nahe.» – «Wir umarmen ihn.» Man hat ihm erlaubt, nach Hause zu fahren, nach Slowenien, zu den Seinen, auf unbestimmte Zeit.
Er fiel jeden Tag tiefer
Bis Corona war er der Held Atalantas gewesen, der wichtigste Akteur im ruhmreichsten Moment der Vereinsgeschichte. In der letzten Begegnung der Königsklasse vor dem Lockdown, im Rückspiel des Achtelfinals in Valencia, hatte der Slowene alle vier Tore der Norditaliener erzielt. «Poker» in einem Auswärtsspiel, das war vor ihm noch nicht vielen gelungen. Dann machte der Fussball dicht, und mit ihm bald alles öffentliche Leben. Ilicic blieb während der ganzen Zeit des Lockdowns in Bergamo, andere ausländische Stars flogen sofort in ihre Heimat und kehrten erst zurück, als das Training wieder aufgenommen werden durfte.
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Die «Gazzetta dello Sport» schreibt, er habe in dieser Zeit einen «psychologischen Kurzschluss» erlebt, mit jedem Tag sei er tiefer gefallen. Keine Stadt in Italien wurde stärker getroffen von der Seuche als Bergamo und seine Umgebung, Hunderte starben. Die Bilder der siebzig Militärtransporter, die in der Nacht des 18. März kamen, um die Leichen abzuholen, gingen um die Welt.
Vielleicht, so mutmasst der «Corriere della Sera», trugen diese Bilder zu «Ilicics Drama» bei. Die Folge eines Flashbacks? Josip Ilicic kam einst im bosnischen Prijedor zur Welt. 1992, er war damals vier, gab es in dem Ort ein schreckliches Massaker, serbische Milizen mordeten Hunderte Kroaten und Bosnier. Der Vater war gestorben, da war Josip erst sieben Monate alt gewesen. Die Familie floh nach Slowenien, die Erinnerungen an den Krieg reisten mit.
Teilnahme an Champions League unwahrscheinlich
Mit 22 kam Ilicic nach Italien. Drei Jahre verbrachte er in Palermo, dann vier in Florenz bei der Fiorentina. 2017 wechselte er nach Bergamo und wurde da zu einer Symbolfigur des «Wunders von Atalanta». Interviews gibt er noch immer nur selten, und wenn er mal redet, dann verfällt er nie in die Selbstglorifizierung, im Gegenteil. Einmal erzählte er, wie sehr ihn der plötzliche Herztod des Nationalverteidigers Davide Astori hergenommen habe, mit dem er in Florenz gespielt hatte. Ihm nahm man die Erschütterung ab.
Nach dem Lockdown war Ilicic dünner als davor, die Kondition stimmte, er trainierte auch mit derselben Intensität wie seine Mitspieler. Doch die Flamme war weg.
Gasperini bot den Stürmer nach dem Restart immer auf, obschon der für seine Verhältnisse verloren auf dem Platz stand: gegen Lazio, Udinese, Cagliari, Sampdoria. Dann ging es gegen Juventus Turin, und Gasperini insistierte erneut, stellte in die Startformation, in der Hoffnung, das Spitzenspiel könnte ihn befreien. Vergeblich.
Die Fans von Atalanta zeigen ihre Solidarität, indem sie ihre Profilbilder in den sozialen Netzwerken und auf Whatsapp durch Fotos von Ilicic ersetzen. Er soll sie spüren können. «Ilicic», sagte Gasperini vor einigen Tagen schon reichlich resigniert, «ist für uns, was Dybala für Juve ist, Immobile für Lazio und Lukaku für Inter». Und als man ihn fragte, wie es nun weitergehe, sagte der Trainer: «Wir schauen von Tag zu Tag, doch dass er mit uns nach Lissabon fährt, ist sehr, sehr unwahrscheinlich.» Die ganze Glorie ohne einen der ganz Gloriosen.
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