Entscheidung in der Serie AJuves 9. Titel in Folge lässt die Konkurrenz hoffen
Juventus schafft etwas, was noch keinem Team in den grossen Ligen Europas gelungen ist. Trotzdem gibt es Unstimmigkeiten bei den Norditalienern, deren wahre Prüfung erst noch kommt.
Als der Druck dann endlich weg war, der Druck, siegen zu müssen, da steckte sich Maurizio Sarri eine Zigarette an, in der Umkleidekabine. Und er sagte zu seinen Spielern: «Wenn ihr sogar mit mir gewinnt, seid ihr wirklich stark.» In dieser selbstironischen Adresse des Trainers war alles drin: der ganze Spannungsabfall zum Ende einer Saison, von der man dachte, sie bringe Turin und damit Italien eine Revolution, eine philosophische Neuausrichtung, die Konsekration des «Sarrismo».
Juventus Turin ist Meister, zwei Spieltage vor Schluss, zum 36. Mal insgesamt in der Vereinsgeschichte und zum neunten Mal in Serie. Das hat noch keine Mannschaft aus einer der fünf grossen Meisterschaften in Europa geschafft. Der FC Bayern steht bei acht, Olympique Lyon brachte es einmal auf sieben, Real Madrid zwei Mal auf fünf in Folge.
Juve ist schlagbar geworden
Ein bisschen etwas für die Ewigkeit ist das also schon. «Unendliches Juve», schreibt «Tuttosport». Die Zeitung hat einen natürlichen Hang zur Totalverklärung, sie wird in Turin gemacht. Und doch schwingt in allen Elogen zu dieser «Neunten Symphonie», wie die römische «Repubblica» den Titel nennt, viel Verwunderung mit, auch etwas Ernüchterung. Und Hoffnung für alle anderen.
Nie war Juventus Turin so menschlich
Juve war nämlich in diesem Herrschaftszyklus der dreitausend Tage, seit Mai 2012, nie schlagbarer gewesen als in dieser Saison. «Nie war es so menschlich», schreibt die «Gazzetta dello Sport», «nie so zerbrechlich und widersprüchlich.»
Und das hatte nicht unwesentlich mit dem Trainerwechsel im vergangenen Sommer zu tun. Maurizio Sarri, 61, früher Angestellter der toskanischen Bank Monte dei Paschi di Siena und dann lange Jahre Trainer in der Provinz, untere Ligen, sollte der «Fidanzata d’Italia», der ehrenwert gealterten Verlobten Italiens, einen neuen Fussball beibringen – einen moderneren, angriffigeren, schnelleren. Weg vom Abwarten, von der obsessiven Kontrolle. Hin zu ganz engen, riskanten Linien, zum schnellen Kombinationsspiel, in dem vorne alle wirbeln – wie beim Flipperkasten mit diesen Springfedern, nur dass die Bälle im Spiel Sarris selten wild wegspringen.
So sah das früher bei Napoli aus, wo er sein Modell in drei Jahren perfektionierte und damit beinahe Meister wurde. Die Enzyklopädie Treccani hat den «Sarrismus» damals in seine Begriffssammlung aufgenommen. «Sarrismo» steht auch für die undiplomatische Art des Urhebers, meistens finstere Mine, rauchige Stimme. Nach einem Abstecher zum FC Chelsea in die Premier League war er nun also bei Juve gelandet, das er so oft kritisiert hatte, beim Primus. Eine kitschige Karriere, wie ein Märchen.
Sarris Revolution bleibt in der Hälfte stecken
Sarri machte eine Diät, kaufte sich eine neue Brille, man sah den Mann im Traineranzug nun ab und zu auch in der eleganten Vereinskluft. Die neue Adresse, sie war eine neue Welt. Seine Revolution aber blieb in der Hälfte stecken. Man sah dem Team nie wirklich an, nach welchem Plan es spielte. Die Verteidigung? Nach dem Kreuzbandriss kurz nach Saisonstart von Giorgio Chiellini, dem Captain, war die Balance weg – Juve kassierte bisher 38 Tore, zuletzt manchmal mehrere in wenigen Minuten, gegen die AC Milan und gegen Sassuolo Calcio zum Beispiel. Das lag auch daran, dass das Mittelfeld in der Tiefe nicht mehr als Filter und Damm fungierte, wie das früher oft der Fall war. Es war ein Sieb, halb revolutioniert.
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Der eigentliche Revolutionsverhinderer aber stand in der Offensive. Keiner sagt Cristiano Ronaldo, wie und wo er spielen soll. Sarri versuchte, ihn ins Sturmzentrum zu verlegen, doch der Portugiese kommt nun mal lieber über den linken Flügel, die Kameraden sollen ihm den Weg zum Tor weit öffnen, eine Autobahnschneise sollen sie für ihn erblocken und erstören.
Jede Anweisung des Trainers verpuffte. Das Verhältnis der beiden soll dann auch nicht das beste sein. Gabriele Romagnoli schreibt, Sarri sei da in die Rolle des Fahrers aus «Driving Miss Daisy» geraten. CR7 war der Chef, er war es dann aber auch, der die Meisterschaft für die Turiner gewann, mit 31 Toren, mit seiner Gravitas auf dem Platz, diesem Selbstverständnis aus tausend Siegen und Trophäen. Wenn es zählte, war er immer da.
Ronaldo verstand sich plötzlich auch viel besser mit Paulo Dybala, seinem argentinischen Partner im Angriff, der neben seinen elf Toren auch noch elf Vorlagen leistete und seine reifste Vorstellung bot. Trotz Corona, Dybala hatte sich zu Beginn der Epidemie angesteckt, blieb er als einer von wenigen ausländischen Stars während des Lockdowns in Italien, war lange angeschlagen, bettlägerig sogar. Doch nach dem Restart der Meisterschaft war er schnell fit, frischer als die meisten. Das Duo «Dybaldo» gilt nun als perfektes Paar.
Am Ende gewann das «Juve der Solisten», wie der «Corriere della Sera» schreibt. Medioker für seine Verhältnisse, müde und leidend, aber eben doch mit mehr Luft, mit einer längeren, insgesamt besser besetzten Spielerbank als die gesamte Konkurrenz, und mit solider Gewohnheit im Siegen.
Siegen ist ja immer schwierig, zweimal siegen ist mehr als zwei Mal schwieriger, drei Mal mehr als drei Mal, jedes weitere Mal ist wohl exponentiell viel schwieriger. Nur schon die Motivation, sie will nach jedem Sieg neu befeuert werden. Vielleicht ist es auch anders herum, und das Dauersiegen ist ein Flow, ein reissender Strom.
Die wahre Prüfung kommt erst noch
Daheim eine Macht, aber was ist in Europa? Die wahre Prüfung kommt erst noch. Juve hat das Viertelfinale der Champions League noch nicht erreicht, im Hinspiel des Achtelfinals verlor man gegen Lyon 0:1. Verpasst Juve die Finalrunde in Lissabon, ja, dann wäre auch dieser neunte Titel kein Trost und Sarri seinen Job wohl doch bald schon los.
Vor dem entscheidenden Meisterschaftsspiel gegen Sampdoria Genua kursierte eine Weile lang das Gerücht, Gianluigi Buffon könnte im Tor stehen, Rekordspieler der Serie A mit 648 Einsätzen, zehn Mal Meister mit Juventus. Er war in dieser Saison bisher erst acht Mal dabei. Nun, Sarri liess ihn auf der Bank, die Metapher von Juves Unsterblichkeit, symbolisiert durch den ewigen «Gigi», wäre sonst wohl nicht zu verhindern gewesen. Buffon hat seinen Vertrag verlängert, ein weiteres Jahr mit Juve, für die Fortschreibung der Herrschaft, er ist dann 43.
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