Kommentar zum VerhüllungsverbotDie Politik sollte nicht zu stark auf den Islam fokussieren
Es sind weitere Forderungen pendent, die auf Einschränkungen für Muslime abzielen. Sinn und Nutzen solcher Regelungen muss man jedes Mal von neuem abwägen.
Die Schweiz ist das siebte europäische Land, das die Verschleierung auf öffentlichem Grund verbietet. Nach Ländern wie Dänemark, Belgien oder Lettland. Die Forderung nach einem Schleierverbot ist offensichtlich populär. Es kommen viele Faktoren zusammen: Schutz vor Unterdrückung, Gleichstellung der Geschlechter oder die Verteidigung christlich-abendländischer Werte.
Was bei einer solchen Abstimmung immer auch mitschwingt, sind Ressentiments. Das mag bei den Initianten offensichtlich sein, welche die «Islamisierung» stoppen wollen. Andere Befürworter, etwa das überparteiliche Frauenkomitee, betonen, dass es ihnen nicht um den Islam gehe. Und doch steckt in vielen Ja-Stimmen eine Spur Islamophobie. Das merkt man an der Aufmerksamkeit, die das Thema gemessen am realen Aufkommen verschleierter Frauen bei uns hat. Oder daran, dass andere eklatante Formen der Frauenunterdrückung nicht mit gleichem Engagement bekämpft werden. Etwa Frauenhandel und Zwangsprostitution.
Das Verhüllungsverbot war denn auch nicht der letzte politische Entscheid betreffend den Islam. Eine Reihe weiterer Forderungen stehen auf der Traktandenliste. Sie zielen beispielsweise auf ein Kopftuchverbot an Schulen, Kindergärten oder in der Verwaltung ab, auf ein Verbot von Minderjährigen-Ehen, ein Importverbot für Halalfleisch und so weiter. Auch Vorstösse zur Moscheen-Finanzierung gibt es immer wieder, den letzten im Herbst 2020. Das Verbot von Minderjährigen-Ehen hat der Nationalrat praktisch ohne Gegenstimmen befürwortet.
«Muslime sehen im neuen Anti-Terror-Gesetz ein gegen sie gerichtetes Unterdrückungs-instrument.»
Auch das Anti-Terror-Gesetz, über das wir im Juni abstimmen, hat antiislamische Züge. Zwar geht es bei dieser Vorlage um die Bekämpfung von Extremismus und Gewaltbereitschaft. Doch Muslime sehen darin ein gegen sie gerichtetes Unterdrückungsinstrument. Die Polizei könnte Hausarrest, Reiseverbot oder weitere Massnahmen verfügen, wenn sie jemanden im Dunstkreis von Islamisten vermutet.
Bei all diesen Themen ist es wichtig, die Beweggründe zu reflektieren. Geht es um Menschenrechte? Um unsere «Werte»? Oder geht es um den Islam, von dem manche befürchten, dass er den Westen überrollt? Die Zahl der Muslime ist in den letzten Jahren in der Schweiz stark angestiegen, verursacht durch die geopolitische Situation und damit verbundene Migrationsbewegungen. Doch das allein ist kein Grund, ihn als Gefahr zu sehen. Denn fast alle Muslime sind so weit integriert und säkularisiert, dass es im Zusammenleben zu keinerlei Problemen kommt. Eine Politik, die zu stark auf den Islam fokussiert, wäre kontraproduktiv.
Die Frage ist, wie viel Gewicht man den wenigen problematischen Einzelfällen beimessen will und ob es verhältnismässig ist, deswegen zu legiferieren. Diese Frage muss jedes Mal wieder von neuem beantwortet werden.
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