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Meinung

Die Pflicht, zu zeigen, was ist

Verharmlosend? Trauer nach dem Massaker im texanischen Uvalde.
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Bilder, obwohl im Lauf der Zeit grösser und zahlreicher geworden, geben relativ selten Anlass zu Beschwerden. Falls trotzdem, dann zum Beispiel im Fall einer anscheinend öfter unvorteilhaft abgebildeten Politikerin oder einer zu leicht bekleideten Dame auf der Titelseite. Oder einst auch im Fall eines Hundes, der als Illustration für einen Artikel über bissige Exemplare seiner Spezies herhalten musste, gemäss seiner Besitzerin aber das liebste Tier der Welt war. 

Vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine beanstandete ein Leser die seines Erachtens tendenziöse Fotografie eines Treffens zwischen dem amerikanischen Aussenminister Antony Blinken und dessen russischem Amtskollegen Sergei Lawrow in Genf. Sie zeigte angeblich einen «freundlichen» Amerikaner mit ausgestreckter Hand und einen «hässigen» Russen mit gerecktem Ellbogen. Das Bild, fand der Leser, sei «in gravierender Weise manipulativ», denn ein Beitrag, den die «Tagesschau» ausstrahlte, belege, dass sich die beiden Politiker Sekundenbruchteile später die Hand gegeben hätten.

Was ist zumutbar?

Nur vereinzelt ist im Lauf der Jahre der Vorwurf laut geworden, Tamedia-Titel würden zu schreckliche Bilder veröffentlichen. Dies, obwohl sie dazu Gelegenheit gehabt hätten und noch haben, denkt einer an den Krieg in der Ukraine oder die jüngsten Schusswaffen-Massaker in den USA. Anders als mitunter vermutet, publizieren Redaktionen nicht unbesehen möglichst sensationelle Bilder, sondern überlegen sich meist sehr wohl, was dem Publikum zuzumuten ist.

So ist in amerikanischen Medien nach den tödlichen Amokläufen in einem Supermarkt in Buffalo und einer Primarschule in Uvalde die Diskussion neu entfacht, ob nicht abstossendere Fotos gezeigt werden müssten, um die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, was solche Taten anrichten und wie dringlich eine Verschärfung der nationalen Waffengesetzgebung ist. Gesetze übrigens, die es einem Jugendlichen wie dem 18-jährigen Täter in Uvalde erlauben, Gewehre und Munition zu kaufen, bevor er Bier trinken darf.

«Es wird nicht alles wieder gut»

Der Dokumentarfilmer Michael Moore schlägt vor, nach Massakern Bilder des Tatorts zu publizieren, um mit Einwilligung betroffener Eltern zu illustrieren, was Kugeln aus einem Sturmgewehr in einem Kinderkörper anrichten. Auch David Boardman, Vorsteher der Journalistenschule der Temple University, meint unverblümt, vielleicht sei es an der Zeit, publik zu machen, «wie ein abgeschlachteter Siebenjähriger aussieht». Das nicht aus Sensationslust, sondern aufgrund der Überzeugung, dass Fotos Gesinnungen verändern können.

In Uvalde konnten einige Opfer nur noch mittels DNA identifiziert werden. Es gebe, so Boardman, Beispiele aus der Geschichte wie 2020 das Handy-Video von der Ermordung des Schwarzen George Floyd, die zeigten, dass «die bildliche Realität eines solchen Blutbads unter Umständen der einzige Weg ist, um Bevölkerung und Politik dazu zu bringen, etwas dagegen zu unternehmen.» Medienethiker Ed Wasserman von der Universität Berkeley meint, statt schockierender Fotos einfühlsame Bilder von trauernden Angehörigen mit Kerzen oder von Schreinen mit Blumen und Teddybären zu zeigen, verharmlose das Ausmass eines Massakers. Solche Bilder suggerierten, alles werde wieder gut: «Aber das wird es nicht.»