Krisen-Gespräch in Genf«Wir entscheiden nicht über die Köpfe der Nato und der Ukraine hinweg»
US-Diplomatin Wendy Sherman ging in Genf nicht auf die Forderungen von Putins Vertreter ein. Der Verhandlungsspielraum schien minimal – obwohl man sich schon lange kennt.
Es werde keinen Separat-Deal mit Russland geben. Das stellte US-Diplomatin Wendy Sherman nach dem Krisentreffen in Genf unmissverständlich klar. Die Regierung Biden trifft «keine Entscheidungen zur Ukraine ohne die Ukraine und auch keine Entscheidungen zur Nato ohne die Nato». Die stellvertretende US-Aussenministerin hat sich am Montag in Genf mit ihrem russischen Amtskollegen Sergei Rjabkow getroffen.
Die Gespräche seien in einer geschäftsmässigen Atmosphäre verlaufen, sagte Sherman nach dem Treffen in einer Telefonkonferenz mit internationalen Journalistinnen und Journalisten. «Wir kennen uns gut und schon lange», sagte die Amerikanerin über ihren russischen Gesprächspartner. Rjabkow seinerseits sagte auf einer Pressekonferenz am Montagabend: «Das Gespräch war schwierig, aber sehr professionell, tiefgründig und konkret.»
Sherman und Rjabkow hatten bereits bei einem Arbeitsessen am Sonntagabend die Stimmung ausgelotet. Die beiden Unterhändler sprachen in Genf über den massiven russischen Truppenaufbau an der ukrainischen Grenze, die Gefahr eines russischen Einmarschs in die Ukraine und über Wladimir Putins Forderungen, die er vor dieser Drohkulisse gestellt hat.
Nato soll «ihren Kram packen»
Moskaus Ausgangsforderungen sind für die USA und für Europa unannehmbar, dem Kreml dürfte das klar sein. Die Nato müsse «ihren Kram packen und sich an die Grenzen von 1997 begeben», formuliert es nun Rjabkow. Für Sherman dagegen steht es jedem Land frei, selbst zu entscheiden, welchem Bündnis es beitritt. «Kein Land sollte ein Veto haben über die Zukunft eines anderen Landes.» Er verstehe, gestand Rjabkow der russischen Nachrichtenagentur Tass, dass «diese Anforderungen für das Ohr der Nato ziemlich ehrgeizig klingen». Die Situation erfordere eben keine «standardmässigen Lösungen».
Eigentlich könnte die Krise relativ einfach entschärft werden. «Zu einer Deeskalation käme es, wenn die russische Führung ihre Truppen an der Grenze zurück in die Kasernen schicken würde», sagte Sherman. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. 100’000 russische Soldaten stünden bereit. «Wir sehen, was sie machen, sie sehen, was wir machen.»
Offen liess Sherman die Frage, ob Russland überhaupt ernsthaft an einer diplomatischen Lösung interessiert sei. Oder ob es darum geht, die Gespräche zu führen, um sie scheitern zu lassen, damit Moskau einen Vorwand hätte, in der Ukraine erneut einzumarschieren nach 2014. «Wenn Russland am Tisch bleibt, können wir Fortschritte machen», hielt Sherman fest. «Russland muss sich entscheiden.»
Undefinierte Militärhilfe für die Ukraine
Moskau möchte nicht nur eine Garantie dafür haben, dass die Nato weder die Ukraine noch andere frühere Sowjetstaaten aufnimmt, keine Waffen auf deren Gebieten stationiert, keine gemeinsamen Übungen abhält. Das Bündnis soll seine Osterweiterung überdies praktisch zurücknehmen, sich aus allen Mitgliedsstaaten zurückziehen, die in den vergangenen knapp fünfzehn Jahren beigetreten sind, darunter Polen und die baltischen Staaten.
Die USA und ihre Verbündeten haben Moskau massive Sanktionen angedroht, sollten russische Truppen in die Ukraine einmarschieren. Sherman zählte sie in Genf nochmals auf: finanzielle Sanktionen, Einschränkungen bei den russischen Exporten, die Verstärkung der Nato-Kontingente bei den osteuropäischen Allianzpartnern sowie die Unterstützung der Ukraine in «Sicherheitsfragen». Was Letzteres genau heissen würde, wollte Sherman auf Nachfrage nicht ausführen.
Ein Thema, bei dem Fortschritte möglich scheinen, ist die Stationierung von Raketensystemen. Sherman erwähnte gegenüber den Medien die Idee, den INF-Vertrag wieder zu beleben. Allerdings sei dies ein langwieriger und technisch anspruchsvoller Prozess. Der INF-Vertrag zwischen Washington und Moskau verbot 1987 die nuklearen Mittelstreckenraketen. Er wurde auf unbeschränkte Dauer geschlossen, ist jedoch seit dem 2. August 2019 ausser Kraft.
Nun weiter nach Brüssel
Egal, wie die Gespräche ausgehen, Putin dürfte das bilaterale Treffen ohne europäische Beteiligung bereits als Teilerfolg verbuchen. In dieser Woche folgen zwei weitere Gespräche zum Thema: Am Mittwoch tagt der Nato-Russland-Rat zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren. Am Donnerstag trifft sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, zu der auch Russland gehört.
US-Diplomatin Sherman will am Dienstagmorgen «sehr früh» nach Brüssel weiterreisen, um sich mit Jens Stoltenberg zu beraten. Der Nato-Generalsekretär dämpfte indes die Erwartungen. «Ich glaube nicht, dass diese Treffen alle Probleme lösen werden.» Er hoffe aber, dass man sich bis Ende der Woche auf ein weiteres Vorgehen einigen könne.
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